Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Pointen seiner Auseinandersetzung mit dem Thema, daß er sich in den zwanziger Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Produktivität als freier Schriftsteller, erneut als Angestellter vorkommt. Indem er viel für das Feuilleton schreibt, sieht er sich als Schriftstellerimmer mehr als einen Angestellten des Literaturbetriebs, der einem regen »Prosastückligeschäft« nachkommt. Walser hat mit dem Schreiben als Commis begonnen, um sich in dem Moment, als er ein anerkannter Autor ist, erneut als Commis zu erfahren. Hatten frühe Texte oft satirischen Charakter – Ein Vormittag (1907), Das Büebli (1908) und Germer (1910) erschienen in der satirischen Wochenschrift Simplicissimus –, so verfahren spätere ironisch und verbinden das »Wirken auf Löschpapier« im Büro und das Verfassen von Texten für den Literaturbetrieb zu dem, was Walser sein ›Poetenleben‹ nennt. Dies entspricht Walter Benjamins Beobachtung, daß sich die Angestellten-Thematik »aus dem politischen Witzblatt zurückzog, um einen epischen Spielraum zu beanspruchen, der der Unermeßlichkeit ihres Gegenstandes entspricht«.
Helden im Büro
Walsers Angestellte führen eine Art Schwellenexistenz. Genauso wie die Stellung im Büro ihre Individualität bedroht und vernichtet, bringt sie diese überhaupt erst hervor. Um diesen Bereich des Übergangs in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu erfassen und auszuleuchten, erscheinen in Walsers Texten über das Büro die Komik und die Tragik unauflösbar verquickt.
Bei Walser stellt sich das Büro als der Ort dar, an dem Raum und Zeit sich verfestigen. Zugleich werden die raum-zeitlichen Fixierungen aber aufgelöst und entgrenzt, zumindest in der Gedankenwelt der Angestellten. Mit der zunehmenden Orientierung des Alltags an einer vorgegebenen und strikt normierten Zeit verwandelt sich ein Fremdzwang ineinen Selbstzwang (Norbert Elias) – doch bei Walsers Bankangestellten wird dieser entindividualisierende, den Zivilisationsprozeß begleitende Zwang zum Motor einer befreienden Kreativität des einzelnen – mustergültig in der Erzählung Ein Vormittag . Daß sich Walsers Angestellte langweilen wie die Götter im Olymp, markiert zugleich den Anfang einer literarischen Selbstbetrachtung. So heißt es etwa von Helbling: »Er schildert wieder einmal Zeit tot.« Erscheint damit das Schreiben buchstäblich als Zeitvertreib, so erweist sich, indem die Zeit selbst bzw. deren Totschlagen zum Thema wird, auch die Literatur als Zeitvertreib. Die in der rationalisierten Arbeitswelt verlustig gegangene unmittelbare Zeiterfahrung lebt in den literarischen Träumereien des Commis wieder auf.
Auch in räumlicher Hinsicht bestimmen Entgegensetzungen das Büro: Es markiert die Grenze zu einem Draußen, das höchstens via Fenster präsent ist, es steht für das Gegenteil der Natur, es ist der Ort, an den der Angestellte gebunden ist, der ihn aber gleichzeitig auch von seinen Sehnsuchtsorten träumen läßt. Es entspricht der gestischen und körperlich-peinlichen Dimension, die in Walsers Texten stets präsent ist, daß er in der Schilderung des Arbeitsalltags gerne auf die Bildlichkeit des Theaters zurückgreift. Schon im frühen Prosatext Der Commis erscheint das Büro als Bühne, während die dramatische Szene der zwanziger Jahre, die nochmals Walsers ganzes Angestellten-Personal der früheren Texte Revue passieren läßt, mit der Regieanweisung eingeleitet wird: »Die Bühne ist ein Büro.«
Es zeichnet Walsers Angestellte aus, daß sie eine vormoderne Individualität bewahren, die dem Aufgehen in einer anonymen Masse widerspricht, das in der soziologischen Angestellten-Literatur im Mittelpunkt steht. Walsers Angestellte sind keine Maschinen oder Automaten, sie sind vielmehr die ›Köpfe‹, die der wachsende Dienstleistungssektor kreiert. Die Identität von Walsers Commis gründet wesentlich in seiner Anstellung, durch sie ist er »ein halber Herr«, ohne sie sinkt er »zu einem linkischen, überflüssigen, lästigen Nichts herab«. Der Angestellte ist eine Figur des Verschwindens. Er ist – um mit Giorgio Agamben zu sprechen – nichts in seiner Gewöhnlichkeit und alles in seiner Potentialität. Die Geschichtslosigkeit seines monotonen Alltags kontrastiert mit der Geschichtenfülle seiner blühenden Fantasie. Aber er bleibt doch ständig von dem Verschwinden im Nichts bedroht, denn der Commis wird nach seiner Fähigkeit zu kopieren und abzuschreiben beurteilt und nicht nach dem Inhalt des Geschriebenen. Damit wird ein
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