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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Walser
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als er bei der Zürcher Kantonalbank eine feste Anstellung ausschlägt, um als freier Schriftsteller nach Berlin zu gehen. Noch zweimal läßt sich Walser danach auf Anstellungen ein, beide sind von kurzer Dauer: Im Sommer 1907 dient er als Sekretär der Berliner Secession, Anfang 1921 als Aushilfe im Staatsarchiv des Kantons Bern.
    Die Spannungen und Verwicklungen, die mit dem neuen Phänomen der Büroarbeit einhergehen, erfassen zu Walsers Jugendzeit nicht nur die breite Öffentlichkeit, sondern auch bestimmte Autoren. In Wilhelm Raabes Roman Die Akten des Vogelsangs von 1896 zum Beispiel findet sich eine Szene, in deren Folge sich der Held von einem Protokoll führenden Schreiber zu einer Art literarischem Erzähler wandelt, der nicht länger ausführendes Organ sein will: »Wie mir mein von Vorgesetzten und Untergebenen anerkannter guter Geschäftsstil abhanden kommt, je länger ich diese Blätter beschreibe, je klarer und deutlicher ich mir das zu Sinnen und Gedanken bringe, was ich hier dem Papier übergebe! Was bis jetzt das Nüchternste war, wird jetzt zum Gespenstischsten. Sie wackeln, die Aktenhaufen, sie werden unruhig und unruhiger um mich her in ihren Fächern an den Wänden und machen mehr und mehr Miene, auf mich einzustürzen. Ich kann nichts dagegen: zum erstenmal will an diesem Schreibtisch, jawohl an diesem Schreibtisch, die Feder in meiner Hand nicht so wie ich […].« Damit bringt Raabes Roman zur Sprache, was auch Walser erfährt: Bevor sich eine literarische Stimme ausbilden kann, muß das sekretäre Schreiben erst ins Stocken geraten.

Vom Schreiber zum Schriftsteller
    Wie die einschlägigen Werke von Gogol, Melville, Dickens, Svevo, Raabe, Tolstoj und Kafka werfen auch Robert Walsers Texte über Angestellte, die dem gesamten Spektrum seines Schaffens entnommen sind, ein erhellendes Licht auf die Disziplinierung und Rationalisierung in der modernen Arbeitswelt. Als Walser 1892 selber zum Angestellten wird, ist er vierzehn Jahre alt – für weitere Schuljahre fehlen die Mittel. Da seine Literatur weitgehend am eigenen Erleben Maß nimmt, bildet das Dasein als Angestellter ein Schlüsselthema. Das kleine Gedicht Im Bureau , einer der ersten Texte, der von Walser überliefert ist, birgt bereits den Zwiespalt, der in seinem Werk zum Tragen kommt: Das Büro erscheint als Inbegriff eines fremdbestimmten Lebens, bildet aber zugleich den Ort, an dem die Fantasien und Träume des Dichters ansetzen, um sich die Wirklichkeit anzueignen. Es ist dieser permanente Widerspruch zwischen Disziplin und Freiheit, zwischen Vorschrift und Entgrenzung, zwischen einem »Sitzen, Festkleben und Schreiben an kaufmännischen Schreibtischen, die man Pulte nennt«, und einem »Herumwandern in warmer, freier Natur«, der Walsers ›Poetenleben‹ fortan bestimmt. So ist Schreiben für Walser nie, auch nicht als Dichter, vom Begriff der Arbeit zu trennen.
    Walsers Werk, das zwischen 1898 und 1933 entsteht, verläuft parallel zur Entdeckung des ›kleinen Mannes‹ als gesellschaftlich und ästhetisch relevante Größe. Als Walser mit dem Schreiben beginnt, werden Commis nur »spärlich zu Helden in Novellen gemacht«; als sich Siegfried Kracauer dreißig Jahre später aus soziologischer Perspektive für die Angestellten interessiert, hält man ihm entgegen, das stehe »›doch schon alles in den Romanen‹«. Walsers Werk stellt eine Literarisierung des kleinen Mannes dar, der sich seiner (An-)Stellung bewußt wird. Anders als Bartleby, der nur in der Perspektive des Vorgesetzten erscheint, ist es bei Walser – wie von Kracauer gefordert – der Angestellte selber, der spricht. Indem Walser seine Poetik aus dem Berufs- und Innenleben der modernen ›Gehülfen‹ heraus entfaltet und mit dem Mittel der Ironie verfremdet, trägt sie zur »Exotik des Alltags« bei, von der Kracauer überzeugt ist, daß es sie gibt. Als Kehrseite der von Max Weber begrüßten »Entzauberung der Welt« entsteht ein Interesse am Gewöhnlichen und am Alltäglichen, das bei näherer Betrachtung plötzlich traumhaft entrückt, unbekannt und fremd erscheint. Walsers Sinn für den Büroalltag der kleinen Angestellten ist Teil jener modernen Beschäftigung mit dem Eigenen, das Kulturwissenschaftler wie Carl Einstein in den dreißiger Jahren als »Ethnologie du Blanc« begreifen.
    Die Thematik der abhängigen und subalternen Tätigkeit beschäftigt Walser intensiv bis ans Ende der zehner Jahre, als er längst Schriftsteller ist. Es ist eine der

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