Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Wandel im Selbstverständnis des modernen Schriftstellers reflektiert, für den das Schreiben ein offener Prozeß ist und gegenüber dem abgeschlossenen literarischen Werk in den Vordergrund rückt. Diesen Sachverhalt reflektiert Walsers lapidarer Satz: »Sein Talent zu schreiben macht leicht einen Schriftsteller aus dem Commis.«
Betrachtet man Robert Walsers Büro-Texte im Überblick, so läßt sich aus ihnen fast schon eine Typologie des Angestellten bilden. Da ist auf der einen Seite die Gruppe der Pflichtbewußten. Dazu gehören der Chef Hasler, der Buchhalter und zugleich »struppige, zugespitzte Revolutionär« Senn sowie »Meier vom Land«, der die Bequemlichkeit des Stadtlebens schätzt, während der »Meier von der Stadt« von der Einfachheit des Landlebens träumt. Den Typus Streber führt Walser mit dem »Statisten« Fritz Glauser, dem »Büebli«, ein, das ganz in den »unsichtbaren und unsichtbarmachenden Regionen der Pflichterfüllung« lebt und als »Bureausystemseele« geradezu als Parodie von Nietzsches Willensmensch wirkt. Trauriges Resultat dieses Systems, gleichsam sein Schreckgespenst, ist Germer. Der hat zwar eine Lebensstelle, aber ihn macht die »Lebenspostenexistenz« körperlich und geistig krank, bis er nurmehr eine »defekte Maschine« ist.
Auf der anderen Seite bevölkern das Büro auch Künstlerfiguren wie der junge Dichter, eine »Art zweckloser Künstlernatur« namens Tanner oder Erich, die sich als Angestellte langweilen, von der Sehnsucht nach Abwechslung verzehrt werden und irgendwann den Schritt in die Freiheit des Künstlerlebens wagen. Aber auch das Leben als Angestellter ist poetisch: »Es bestand für mich eine Poesie darin, den Faulenzer zu spielen. Im Bureau war überhaupt viel Poesie.« ( SW 16, 411f.) Zwischen den Büroseelen und den Künstlernaturen und als Alter ego Walsers immer wieder im Zentrum steht Helbling, ein »ganz, beinahe übertrieben gewöhnlicher Mensch« ohne besondere Eigenschaften, der ungeduldig und von Langeweile geplagt in ständiger Auseinandersetzung mit der Uhrzeit seinen Träumereien nachgeht, der – eben »helblingisch« – seine Angestelltenpflichten mißachtet, seine Arbeitsscheu aber hinter einer Maske gespielter Eitelkeit zu verbergen weiß.
In der Figur Helblings ist bereits das Ideal eines ›Poetenlebens‹ angedeutet, das Walser später in dem gleichnamigen Text ausmalen wird. Den Ausgangspunkt bildet ein Nebeneinander von Schreibertätigkeit und Schriftstellerei. Doch Angestellten-Pflicht und Künstler-Freiheit, der Angestellte, der sich aus seiner Stelle in Fantasiewelten wegträumt, und der Träumer, der sich nach einem Platz im Leben sehnt, geraten zunehmend in Widerspruch zueinander. Commis und Künstler sind in Walsers Texten dialektisch aufeinander bezogen, sie sind sich gleichzeitig fremd und nah. Das Ideal des Poetenlebens vereint die Gegensätze von »Stellenbekleiden« und »Stellenpreisgeben«, Arbeit und Vergnügen, Büro und Natur, Seßhaftigkeit und »Herumwandern«, Pflichterfüllung und »Vagabundieren«, Arbeit und Gefangenschaft.
Die Auflösung dieser Gegensätze erfolgt dadurch, daß sie dem Schriftsteller zu seinem »poetischen Grund und Boden« werden. Gleichwohl bleibt im »proletarischen Poetenleben« der Bezug zum praktischen und alltäglichen Leben bestehen, wie Walser vor allem am Gegenbild des leidenden Dichters zeigt. Inbegriff dafür ist die an den Zwängen der bürgerlichen Welt zerbrechende Künstlernatur Hölderlin. Zusammenfassend läßt sich Walsers Angestellten-Typologie wie folgt umreißen: In Abgrenzung zu den beiden Extremen des kranken Angestellten (Germer) und des kranken Dichters (Hölderlin) zeichnet Walser das Ideal eines Dichter-Angestellten, dessen Poetenleben darin besteht, daß er zugleich beides und weder das eine noch das andere ist.
Walsers Angestellte denken ab und zu an Karriere und Aufstieg, werden aber auffällig oft entlassen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich eine Umkehrung des Herr-Knecht-Verhältnisses, das bei Walser nicht einfach einer masochistisch gefärbten Aufwertung des Dienens gleichkommt, sondern dieses Verhältnis als Kippfigur inszeniert. Während Chefs ab und an gerne Angestellte wären, bilden sich Angestellte gerne ein, Herren zu sein. Die einen würden lieber einmal dienen als befehlen, die anderen würden lieber tun, was sie wollen, als immer nur gehorchen. Damit werden im jeweiligen Wunschdenken nicht bloß die Hierarchien auf den Kopf gestellt, sondern
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