Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
furchtsam seine Blicke. Er hat schwarze, tiefschwarze Augen. Manchmal spielt um seine weichen Lippen ein freundliches, schmerzliches Lächeln. In solchen Momenten, das empfindet der Zuschauer lebhaft, ist er hinreißend schön. Man fragt sich, was will der junge schöne Künstler hier im Bureau? Merkwürdig, man muß ihn unbedingt für einen Künstler halten, oder dann für ein armes Aristokratenkind. Beides ist fast das gleiche. Nun schießt der breitschultrige, wohlgenährte Chef hinein, die Commis sind in ihre momentanen lächerlichen Haltungen, die sie sogar teilweise kompromittieren, festgebannt, so beherrschend wirkt auf diese Menschen der Eintritt ihres Vorgesetzten. Nur der Schöne tut wie sonst: unbekümmert, arglos, unschuldig! Der Chef wendet sich aber gerade an ihn, und, wie es deutlich erkennbar ist, recht unfreundlich. Der Schöneerrötet vor dem Rohen, Gewaltigen. Dieser schießt wieder hinaus, die Commis atmen auf, jener aber ist dem Weinen nahe. Er kann Vorwürfe nicht ertragen, so zart ist seine Seele. Weine doch nicht, Schöner, geht ein seltsames Empfinden durch die Herzen der Zuschauer: weine doch nicht, Schöner. Namentlich Frauen empfinden das. Ihm aber laufen große Tränen aus den schönen Augen, die feinen Wangen hinunter. Er stützt den Kopf und versinkt in Nachdenken. Unterdessen ist es Feierabend geworden; die Landschaft im Fensterrahmen wird dunkler und dunkler. Sie deutet es also an. Die Commis verlassen mit fröhlichem Geräusch ihre Plätze, legen das Werkzeug zusammen und springen davon. Dies geschieht sehr schnell, so wie es in der Wirklichkeit ebenfalls zu geschehen pflegt. Nur der Schöne bleibt, in seinem Nachdenken versunken. Armer, einsamer Schöner! Warum bist du Commis? Hat die Welt keinen besseren Platz für dich, als das enge, dumpfe Bureau? Nun mußt du nachdenken, nachdenken, ach, und unterdessen fällt der tote, grausame, alles tötende Vorhang. –
Traum
Ein Commis hat mir einmal folgenden Traum erzählt: Ich befand mich in einem Zimmer. Plötzlich gingen die Wände des Zimmers auseinander. Ich starrte. Ein Wald von Eichen flog herein, und in dem Wald war es so düster, so schwarz. Dann verbog sich der Wald, etwa so, wie sich eine Seite von einem großen Folianten umbiegt, und ich befand mich auf einem Berg. Ich stürmte mit meinem Kameraden, ebenfalls einem Commis, den Berg hinunter. Wir gelangten an einen schwarzen, nebligen See und warfen uns zwischen dem Schilf ins schmutzige kalte Wasser. Da rief von oben eine helle Frauenstimme, wir sollten doch hinaufkommen. Wie sich das in meine Ohren hineindrang! Ich ging aus dem Wasser, stürmte den steilen, felsigen Berg hinan, zog mich an kleinen Baumstämmen heftig hinauf; unter mir spürte ich die immer wachsende, schauerliche Tiefe. Ich wollte mich eben über den letzten steilen Felsen emporschwingen, aber ich sank: der Felsen war weich wie ein Stück Tuch, gab nach, senkte sich mit mir, dem Klammernden, dem Abgrund zu. Ein unendliches Schmerzgefühl durchbohrte mich. Ich sank und sank, und befinde mich am Ende wieder in dem Zimmer vom Anfang. Es regnet draußen. Die Tür geht auf, und eine Frau tritt herein, die ich von früher her sehr gut kenne. Wir sind auseinandergekommen. Ich habe sie, oder sie hat mich gekränkt, was tut das zur Sache? Aber nun ist sie so lieb, so freundlich; sie tritt lächelnd gerade auf mich zu, setzt sich nahe zu mir, umschlingt mich, und sagt, nur mich allein von allen Menschen der Erde habe sie lieb. Ich denke flüchtig an meinen Kameraden. Aber ich bin so glücklich, daß ich ihn nicht lange im Gedächtnis behalten kann. Ich fasse die Frau um den schönen schlanken Leib, fühle die Art ihres Stoffes, Kleidstoffes, und sehe ihr in die Augen. Diese sind so groß und so schön. Habe ich je ein ähnliches Glück gehabt? Trotzdem es regnet, gehen wir spazieren. Ich presse mich an sie, und es scheint mir, als wolle sie mich noch näher an sich heranziehen. Was für ein weicher, tönender Körper! Welches Lächeln von den Lippen! Welche Übereinstimmung von Leib, Bewegung, Sprache und Lächeln! Wir sprechen so wenig. Ihr seltsames Kleid scheint zu mir zu sprechen. Seltsam: es kommt uns kein Sinn ans Küssen. Die Überraschung in unserer Liebe ist vielleicht noch zu heftig. Was weiß ich! Sie, die ich mir für immer verfeindet glaubte, nun in meinen Armen zu haben, den Duft dieser geliebten Hände mein zu wissen, das geht über mein Fassen, fast über mein Fühlen. Wir treten wieder ins Zimmer.
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