Im Bus ganz hinten
blutrot war, weil er sich nachts die Lippen
aufgebissen hatte. Roland war 19 Jahre alt. Eigentlich ein cooler Typ. Wenn er zwischendurch mal normal war, verstand ich mich richtig gut
mit ihm. Er hatte ein warmes Herz, aber eine kaputte Seele. Er hatte die krassesten A usraster, die ich je bei jemandem gesehen hatte, er war
dann plötzlich nicht mehr er selbst, so richtig psycho, einfach nicht mehr ansprechbar. A nfangs machte mir das A ngst. A ber nach einer Weile
war ich nur noch wütend, wenn er wieder einmal wild um sich schlug und die Pfleger ihn dann wie ein Tier an sein Bett fesselten. Sie
behandelten ihn wie den letzten Dreck! Dabei konnte das arme Schwein doch nichts dafür, dass es so dermaßen verrückt war. Verglichen mit
ihm, kam ich mir richtiggehend normal vor. Das machte mir Mut.
Immer wenn ich es gar nicht mehr in einem Raum mit Roland aushielt, setzte ich mich raus auf den Gang und starrte an die Decke. Eines
Tages setzte sich jemand zu mir. »Hi, ich bin Emilie«, hauchte eine verrauchte Stimme. Das Mädchen hatte kurze, rote Haare, schneeweiße
Haut und ein kleines, liebes Gesicht. Sie war gekleidet wie eine Punkerin. Emilie war das erste Mädchen, das ich auf A nhieb richtig geil fand.
»Wer bist du? Und warum bist du hier?«, fragte sie mich und zündete sich einfach eine Kippe an. Dass direkt über unseren Köpfen ein
»Rauchen verboten«-Schild hing, interessierte sie anscheinend reichlich wenig. »Pa-Pa-Patrick«, stotterte ich. Sonst war ich ja nicht gerade
schüchtern, aber dieses Mädchen brachte mich irgendwie aus dem Konzept. »Ich bin vom Teufel verfolgt worden. Er wollte mich holen«,
erklärte ich, und irgendwie schämte ich mich für das, was ich sagte. Doch Emilie war die erste Person, die sich über mein Problem so gar
nicht zu wundern schien. »Kenn ich«, murmelte sie gelassen, die Kippe schräg in ihrem Mundwinkel. Sie zog den linken Ä rmel ihres grauen
Hoodies bis zum Ellbogen nach oben. Und jetzt bekam ich Gänsehaut! Ihr gesamter Unterarm war aufgeschlitzt. Blutig. Krustig. Vernarbt.
»Immer wenn der Teufel zu mir kommt, muss ich mich ritzen. Nur wenn ich mich selbst verletze, spüre ich, dass ich noch am Leben bin. Und
bevor ich gar nichts mehr spüre, entscheide ich mich lieber für die Schmerzen«, erklärte sie mir. Ich war geschockt. Und gleichzeitig
überglücklich! Hatte ich in Emilie endlich eine Seelenverwandte gefunden? War sie vielleicht die erste Person auf diesem Erdball, die mich
verstand?
Wir wurden unsanft unterbrochen: »Bist du verrückt? Mach sofort die gottverdammte Zigarette aus!«, schrie Schwester Kerstin von der
anderen Seite des Ganges – ihre sonst so süße Radiostimme klang plötzlich ziemlich fies. Und dann passierte etwas, was ich bislang nur aus
schlechten Gangsterfilmen kannte: Emilie drückte die Kippe auf ihrem eigenen Unterarm aus. Es roch nach verbranntem Fleisch. Mir wurde
übel. »Los, ab in dein Zimmer«, fauchte Kerstin. »Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du hier nicht rauchen darfst!« Emilie rannte
davon. A uch ich ging zurück in meine Zelle und legte mich auf mein Bett. »Ist die vielleicht cool«, dachte ich beeindruckt und geschockt
zugleich. Dann schlief ich ein.
In den nächsten Tagen verbrachte ich immer mehr Zeit mit Emilie. Wir gingen zusammen zum Frühstücken, zum Mittag- und zum
A bendessen. Sie wurde zu meiner einzigen Verbündeten in der Klapse. Irgendwie waren wir auf der gleichen Wellenlänge. Doch immer wenn
sie merkte, dass ich sie toll fand, belächelte sie das nur. Es war wirklich schwer, an sie heranzukommen, aber irgendwie törnte mich genau
das auch an. Je mehr sie mir die kalte Schulter zeigte, desto mehr wollte ich sie. Eines Nachts sehnte ich mich so sehr nach Emilie, dass ich
mich heimlich zu ihr ins Zimmer schlich. Ich wollte mich einfach zu ihr ins Bett legen. Ein bisschen kuscheln. Sie riechen. Neben ihr
einschlafen. Ganz langsam öffnete ich ihre Tür – und ab da lief alles ganz anders als geplant. Den A nblick werde ich wohl mein Leben lang
nicht mehr vergessen: Emilie kauerte auf dem Boden neben ihrem Bett und wimmerte leise. A lles war voller Blut. Neben ihr lagen mehrere
Einweg-Rasierklingen. Mir wurde schlecht. Sie hatte sich wieder geritzt, aber diesmal war ich mir nicht sicher, ob sie nicht sogar versucht
hatte, sich umzubringen. »Was zum Teufel hast du nur gemacht?«, brüllte ich sie verzweifelt an. Ich stürmte auf sie zu, riss mir mein Shirt
vom
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