Im Bus ganz hinten
Leib und verband damit ihre A rme. Ich drückte sie fest an mich. »Emilie, warum machst du das?«, wiederholte ich immer wieder meine
Frage. A ber Emilie blieb stumm. Ihre A ugen waren leer. Es waren nicht einmal mehr Tränen da, die sie hätte herausweinen können. Sie
zitterte am ganzen Körper. Ich schrie. Es war, als wäre der Teufel zurückgekehrt. Ich klingelte nach Schwester Kerstin. Die schickte mich weg:
»Emilie braucht jetzt Ruhe. Geh schlafen, Patrick.«
A ls ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich A ngst. Ich machte mir große Sorgen um Emilie. A ber seltsamerweise war ihre
A nziehungskraft auf mich verflogen. Es war, als hätte sie unser Band in der vergangenen Nacht mit ihren Einweg-Rasierklingen
durchschnitten. Ich empfand nur noch Mitleid für sie und sonst nichts. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie sie sich selbst so verletzen
konnte. Hatte sie sich tatsächlich umbringen wollen?
Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke, dann denke ich, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnig in Emilie verknallt war. A ber
vielleicht war ich schon so weit wieder genesen, dass mich ihre kranke Masche am Ende einfach abgestoßen hat.
Lästerschweine!
Fünf Monate hatte ich in der Nervenheilanstalt verbracht, und am Ende wollten mich die Pfleger nur noch loswerden. Mit mir hält es eben
keiner länger aus. Ich war heilfroh, dass ich die Hölle endlich verlassen und nach Hause gehen durfte. A ls ich das Tor in die Freiheit öffnete,
blendete mich das Sonnenlicht so sehr, dass ich meine A ugen zusammenkniff. Der Wind wehte mir um die Ohren, es war ein schöner und
warmer Tag – ich freute mich, dass ich endlich wieder draußen war. Die erste Enttäuschung ließ allerdings nicht lange auf sich warten: Wo
war meine Mutter? Sie hatte mich eigentlich abholen wollen, aber anscheinend war ihr etwas dazwischengekommen. Ich war nicht wirklich
überrascht und setzte mich in Ruhe auf eine Holzbank vor die Klinik, um darüber nachzudenken, wie es mit meinem Leben nun weitergehen
sollte. Leicht würde es auf keinen Fall werden, das war mir klar. A ber ich wollte es schaffen. Und so raffte ich mich auf und setzte mich in den
nächsten Bus, wie immer in die letzte Reihe, und ließ mich durch die Stadt fahren. Es war cool, endlich wieder Berlin zu sehen. Graffitis und
Tags an allen Wänden und Zügen. Wie hatte ich das vermisst! Neben mir saß ein Typ, aus dessen Kopfhörer Hip-Hop-Beats schepperten. Ich
nickte mit dem Kopf dazu und spürte das Gefühl von Freiheit. Ich war wieder zu Hause!
A ber kaum war ich in meiner alten Siedlung angekommen, merkte ich schon, dass alles anders war. Ich spürte eisige Blicke. A us allen Ecken.
Sie schauten mich an, als wäre ich ein Mörder. Ein wertloses Stück Fleisch. Was war los? Mein Kumpel Marco – genau der Typ, der mich vor
meinem A usflug in die Klapse mit seinen Horrorfilmen gegrillt hatte – war eine richtige Tratschtante und hatte allen Leuten erzählt, was mit
mir passiert war. Jeder Idiot in meinem Viertel kannte jetzt die Details aus der Nacht, in der ich zum ersten Mal eine Panikattacke gehabt
hatte. Na toll. Jetzt war ich für alle der Oberpsycho! A uf der Straße flüsterten sie oder riefen mir irgendwelchen Schwachsinn hinterher:
»Vorsicht, der Typ ist total verrückt« oder »Guck mal, da ist der Spinner«. Damit hatte ich nicht gerechnet. Normalerweise hätte ich immer
einen dummen Spruch zur A bwehr auf Lager gehabt, aber jetzt, so frisch nach der zermürbenden Zeit in der Klapse, wollte ich mir nur noch
ein Loch graben und mich darin verstecken. Selbst die wenigen Freunde, die ich vorher gehabt hatte, wollten jetzt nichts mehr mit mir zu tun
haben. Ich war als unzurechnungsfähiger Idiot abgestempelt worden. Und das fühlte sich ziemlich mies an. In mir herrschte sowieso das
reinste Chaos, ich wusste ja selbst nicht, was mit mir eigentlich passiert war. Und jetzt musste ich auch noch damit klarkommen, dass sich
meine ganze Hood über mich lustig machte. Mein Kopf war gefickt. Jeder Blick verunsicherte mich von da an nur noch mehr. A uch wenn die
Leute mich gar nicht kannten, dachte ich, dass sie über mich tuscheln und mich auslachen würden. Und es kam noch schlimmer: Ich flog vom
Gymnasium! So jemanden wie mich wollten die da nicht, und meine Noten waren auch nicht so berauschend, dass ich mich großartig
dagegen hätte wehren können. Meine Mutter war zutiefst enttäuscht. »Was hätte ich auch anderes erwarten
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