Im Bus ganz hinten
Vielleicht löst sich dein innerer Konflikt für immer auf, wenn du ihn triffst.« Nur, wie zur Hölle
sollte ich das tun? Mit meinem Vater hatte ich das letzte Mal Kontakt gehabt, als ich vier gewesen war. A lles drehte sich um mich herum. Mit
letzter Kraft griff ich nach meiner Jacke und lief davon. Die Uhlmann-Lubich rief mir noch irgendetwas hinterher, aber ich hörte nicht mehr zu.
Ich stand auf der Straße im Regen und war kurz davor, mich aufzugeben.
4. Abgeschoben
Heimkind!
Panik, Panik, Panik. Seit mehr als einem halben Jahr war ich aus der Klapse zurück und hatte noch immer keine Ruhe vor den Geistern in
meinem Kopf. Ich konnte gar nicht mehr schlafen und sah dementsprechend aus wie ein Zombie. Keiner wusste, wie es mit mir weitergehen
sollte. Schon gar nicht meine Mutter und Erich. Sie waren genau wie ich am Ende ihrer Kräfte und schmiedeten deshalb einen neuen Plan:
»Du kommst jetzt ins Heim«, verkündete meine Mutter. »Das ist das Beste für uns alle.«
Woah! Was für eine A nsage. Ihre Worte trafen mich mitten ins Herz. Nach Therapie, Klapse und den ganzen Schulwechseln sollte ich jetzt
auch noch ein Heimkind werden. Für mich war das eine absolute Horrorvorstellung – meine Mutter hielt jedoch eisern an ihrem Entschluss
fest. Sie schien davon überzeugt zu sein, dass es nicht nur für sie und Erich, sondern auch für mich das A ngenehmste war, wenn ich in ein
Heim zog. Schon wenige Tage später fuhr sie mich in mein neues Zuhause: das Don-Bosco-Heim in Berlin-Wannsee. Wie versteinert saß ich
auf der Rückbank unseres A utos. Nach dreißig Minuten Fahrt waren wir auch schon da, und ohne mich von meiner Mutter zu verabschieden,
stieg ich aus dem Wagen und knallte die Tür hinter mir zu. Mama stürmte fluchend hinter mir her in Richtung Eingangstür. »Jetzt warte doch,
wir müssen noch zum Heimleiter.« »Beeil dich halt«, sagte ich beleidigt und ging weiter. Das Heimgelände war riesengroß. Überrascht
bemerkte ich: Es gab eigene Fußball- und Basketballplätze, einen Ponyhof und eine Werkstatt. A ußerdem war alles grün und schön gemacht.
Wenn ich ehrlich war, sah das hier gar nicht so schlecht aus. A uch im Inneren des Hauses gab es nichts zu meckern, die Räume waren hell
und freundlich eingerichtet. Nur die Luft in den alten Gemäuern war irgendwie eigenartig, ein bisschen muffig und feucht. Im Büro des Leiters
angekommen, wurde ich nett begrüßt. Er erklärte mir, dass ich in eine Gruppe mit anderen Jugendlichen kommen würde, und erledigte den
Schreibkram mit meiner Mutter. Dann zeigte er mir mein Zimmer. Darin standen ein Bett, ein Holzschrank und ein altes Radio. Sonst nichts.
Nicht einmal ein Fernseher. Der Raum war gerade mal sieben Quadratmeter groß, aber irgendwie trotzdem gemütlich. Noch bevor ich meinen
Rucksack abgestellt hatte, verabschiedete sich meine Mutter gehetzt. »Tschüss, Patrick, mach es gut«, säuselte sie. Ihr schien die Situation
allmählich auch ein bisschen unangenehm zu werden, wobei ich nicht sagen konnte, inwiefern sie sich wieder nur für mich schämte oder ob
sie vielleicht selbst ein bisschen traurig über unsere Trennung war. Ich winkte ihr kurz zu und setzte mich dann auf mein neues Bett.
Jetzt war es also offiziell: Ich war ein Heimkind. Das hatte ich nie sein wollen. Meine größte A ngst war es immer gewesen, dass ich meine
Familie verlieren könnte, auch wenn es nicht gerade die beste Familie war. Ich hatte nie allein sein wollen, und jetzt war es trotzdem so
gekommen. Ich legte den Kopf in meine Hände und starrte auf den Holzboden. Dann dachte ich an die Lästerschweine in meinem Viertel. Die
würden sich wieder das Maul zerreißen und mich in Zukunft das »verrückte Heimkind« nennen. Na ja, auch nicht schlimmer als nur verrückt,
dachte ich mir. Mein Ruf war ohnehin schon ruiniert. Und plötzlich musste ich lachen. Das erste Mal seit Wochen. Vielleicht war das ja der
Neuanfang, den ich so dringend brauchte?
Neugierig ging ich irgendwann nach draußen. Ich musste ja schließlich herausbekommen, wer sonst noch so hier war. Was ich dann
allerdings sah, schockierte mich: Die anderen Jugendlichen waren völlig heruntergekommen. Sie trugen die schrecklichsten Klamotten und
hatten uncoole Frisuren. A ußerdem waren sie komplett ungewaschen. Ich ekelte mich geradezu vor den anderen Heimkindern. Egal, wie
schlecht es mir auch ging, ich versuchte immer auf meinen Style zu achten und mich zu pflegen. Beides war
Weitere Kostenlose Bücher