Im Bus ganz hinten
zur Therapie gehen. Im Zugabteil machten alle einen großen Bogen um mich, ich stank
fürchterlich nach Scheiße, und wahrscheinlich roch man das im ganzen Waggon. Dank der Medikamente war ich aber so dermaßen gaga, dass
ich mich nicht einmal schämte. Mir war alles scheißegal. Zu Hause angekommen, steckte ich die eingesudelte Hose in die Waschmaschine und
setzte mich auf den Boden vor die sich gleichmäßig drehende Waschtrommel. Irgendwann riss mich das Telefon unsanft aus meinem
Hypnosezustand. Die Uhlmann-Lubich war dran und stellte mich zur Rede: »Wieso hast du in unser Treppenhaus gemacht? Ich weiß, dass du
es warst – ich habe dich noch aus unserem Haus laufen sehen! Das war doch A bsicht!« Ich versuchte mich zu erklären: »Ich hab das nicht
extra gemacht«, stammelte ich. »A ch, komm schon. Gib es doch zu«, meinte sie bloß. Die Psychotante empfand meine A ktion offenbar als
pure Provokation. Dabei waren es doch nur die Medikamente, die mich völlig aus der Bahn geworfen hatten. Ich erklärte ihr die ganze Story
und entschuldigte mich inständig für die Scheiß-A ktion im Treppenhaus. A ls die Medikamente etwas nachließen, war mir die Sache auch
unendlich peinlich. A m Ende glaubte mir die Psychologin und legte sogar ein gutes Wort für mich bei ihrem Hausmeister ein.
Die Beichte
Zweimal pro Woche ging ich von da an wieder in die Therapiestunde zu Frau Dr. Uhlmann-Lubich. In ihrer sanft esoterischen Praxis fühlte ich
mich wohl. Es roch nach Räucherstäbchen, es gab Kekse, und wir plauderten entspannt vor uns hin. Ich kannte sie ja, seit ich sieben Jahre alt
war, und vertraute ihr deshalb vollkommen. Ich verriet ihr alles, was durch meinen Kopf ging. Egal, wie radikal und durchgeknallt es auch
war, sie war niemals geschockt. Ich konnte ihr einfach alles sagen – und sollte das auch, denn schließlich war das ja der Sinn der Therapie.
Die Uhlmann-Lubich sah mich immer an, als würde sie mich verstehen. Zumindest schien sie es ganz ernsthaft zu versuchen, und das allein
schon fand ich cool. Ich erzählte ihr von den Leuten, die so schlecht über mich redeten, seitdem ich aus der Klapse zurück war, und plötzlich
schossen mir dabei die Tränen in die A ugen. A ll die Wut, der Ä rger und der Frust der letzten Wochen brachen in diesem Moment aus mir
heraus. Das war kurz sehr befreiend – nur dass mir im nächsten Moment dann total schlecht wurde. A lles drehte sich. Es war, als würde ich
auf einmal in einem Vogelkäfig sitzen, der im Sturm hin und her schlug. Ich fühlte mich eingesperrt und wollte nur noch raus. Ich fing an zu
schreien. Immer lauter und lauter. Ich war einfach total verzweifelt. Ich hatte wieder eine meiner Panikattacken, und zum ersten Mal bekam
die Therapeutin das Ganze hautnah mit. Sie versuchte mich zu beruhigen: »Es ist doch alles in Ordnung. Komm, wir reden weiter.« Ich
atmete tief durch, bis das Gefühl tatsächlich verschwand und ich mich allmählich wieder auf das Gespräch konzentrieren konnte.
In der nächsten Therapiestunde erzählte ich der Uhlmann-Lubich dann ganz offen, wie es in mir drinnen aussah. Ich erklärte ihr, wie
enttäuscht ich von meinem Leben war. »Meine Mutter ist nie für mich da. Ich bin ein Stück Scheiße und kann einfach gar nichts. Niemand hat
mich je für irgendwas gelobt. Nie ist jemand auch nur annähernd stolz auf mich gewesen.« Ich beichtete ihr, dass ich manchmal sogar das
Gefühl hatte, dass ich selbst die Beziehung zu meiner Mutter zerstört hätte, weil ich so dermaßen unkontrollierbar und rotzfrech war. Ich
erzählte, wie unfassbar traurig ich es fand, dass ich meinen leiblichen Vater nie richtig kennenlernen durfte. Und wie sehr es mich innerlich
auffraß, dass ich keine richtige Familie hatte. Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge, ganz allein in einer beschissenen Welt. Ohne Liebe. Ich
war einsam und verlassen. Ja, so fühlte ich mich. Noch nie hatte ich das alles so offen ausgesprochen. Es fühlte sich an wie eine Beichte, eine
Beichte vor mir selbst. Es dauerte nicht lange, bis die nächste Panikattacke aus mir herausbrach: Ich schrie, mir wurde schlecht. Das alte Spiel.
»Was ist nur los mit mir? Wann werde ich diese Psychoanfälle endlich wieder unter Kontrolle bekommen?«, fragte ich sie. Doch selbst die
Uhlmann-Lubich, die mich schon mein Leben lang kannte, wusste keine konkrete A ntwort. Sie legte mir aber eine Sache ans Herz: »Mach dich
auf die Suche nach deinem leiblichen Vater.
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