Im Bus ganz hinten
hinaus bis zum Rathaus Steglitz. Das waren mindestens zehn Busstationen. Dabei wischte ich mir immer wieder mit den Händen über mein Gesicht. Warum zum Teufel wollte mich niemand auf dieser Welt bei sich haben? Tot zu sein hätte sich in diesem Moment wohl lebendiger angefühlt …
Raus aus dem Heim
Dietlind und Annika, so hießen die beiden schrecklichsten Betreuerinnen im Heim. Erstere war eine richtige Öko-Blondine: Sie trug keine Schminke, dafür Juteklamotten, und ihre Haare waren immer ungekämmt und strubbelig. Wenn sie mir Anweisungen gab, dann nörgelte sie meistens auf einer unangenehmen Frequenz: »Duuuu, Patrick. Räum doch mal wieder aaaaauf«, war einer ihrer Lieblingssätze. Diese Frau konnte ich beim besten Willen nicht ernst nehmen. Annika wiederum war die fetteste Olle nördlich des Äquators. Sie wog so um die 110 Kilo, war dabei aber extrem klein. Sie hatte kurze braune Locken und eine XXL-Schlaubi-Brille im Gesicht. Wie kann man nur so fett werden?, habe ich mich bei ihrem Anblick immer gefragt. Vor allem, weil das Essen im Heim der schlimmste Ekelfraß auf Erden war. Es gab grundsätzlich nur Toastbrot mit Käse und Cervelatwurst. Und das morgens, mittags und abends. Die Tiere im Zoo kriegten vermutlich noch besseres Futter!
Weil ich immer nur Scheiße baute und nie pünktlich nach Hause kam, beruhte die Abneigung zwischen Dietlind, Annika und mir auf Gegenseitigkeit. Einmal hatte ein Kumpel von mir Ärger mit der Polizei und bat mich, seine Knarre bei mir zu verstecken. Als ich mit dem Ding in der Hand ins Heim spazierte, drehten die zwei Weiber völlig durch.
»SPINNSTDUJETZTTOTAAAAL?!?!«, brüllte mich Dietlind in voller Lautstärke an.
»Es reicht uns mit dir!«, fügte Annika kreischend hinzu. Wenig später war die Waffe konfisziert, und ich hatte Basketballverbot. Shit! Dann spiele ich halt woanders, dachte ich nur. Und weil ich dann in einem mittelprächtigen Wutanfall eine hässliche Vase auf dem Gang zerschlug, wurde mir auch noch das Taschengeld gestrichen.
Damit hatte ich ein altbekanntes Problem: Ich brauchte Kohle! Mit zwei anderen Heimkollegen, Mehmet und Cem, beschloss ich, die Sache offensiv anzugehen: Wenn die mir mein Geld wegnahmen, holte ich mir eben ihres! Gesagt, getan. Es war Weiberfastnacht, und alle feierten in der Aula. Die Bekloppten tanzten mit ihren peinlichen Kostümen Polonaise oder sonst was, und darauf hatte ich sowieso keinen Bock. Mit meinen zwei Verbündeten schlich ich mich unbemerkt aus dem Raum und in Richtung des Heimbüros, wo das Geld gelagert wurde. Die Tür war nachvollziehbarerweise verschlossen – Leuten wie mir hätte ich auch nicht getraut. Aber wir hatten einen Plan, wie wir trotzdem reinkommen würden: nämlich durchs Fenster. Wir liefen also heimlich einmal ums Haus herum und suchten nach dem Büro. Mein Herz pochte wie wild, und ich war aufgeregt, gleichzeitig war mir aber auch klar, dass ich die Sache jetzt durchziehen würde. Es fühlte sich an, als wäre ein Motor in mir angesprungen: Es war die Wut auf Dietlind und Annika, die mich vorantrieb, ohne dass ich noch groß darüber nachdenken musste. Schließlich fanden wir das richtige Fenster. Und wir hatten Glück, es war tatsächlich gekippt. Ich machte für Cem die Räuberleiter, und er stieg mit seinen dreckigen Sneakers auf meine Hände, obwohl er bestimmt 85 Kilo wog. Ich blieb stehen wie eine Mauer. Er kletterte hoch, zog am Fenster und hob es dann mit einem krassen Ruck aus den Angeln. Jetzt war der Weg frei. Ich drückte Cem noch ein Stück weiter, damit er ins Büro kriechen konnte. Die Fensteröffnung war zwar relativ klein und er ja relativ breit, aber mit ordentlich Druck und einem festen Schubser plumpste er schließlich durch. Geil! Mehmet und ich liefen wieder zurück ins Haus, und als wir beim Büro ankamen, hatte Cem die Tür schon von innen aufgemacht. Wir stürmten in den Raum und suchten alles ab – wie die Trüffelschweine. Im Schreibtisch war nichts, in den Regalen auch nicht. Dann versuchten wir den Holzschrank zu öffnen, hatten zunächst jedoch wenig Erfolg. Ich rüttelte, so fest ich konnte, aber es passierte einfach nichts.
»Wir brauchen einen Schraubenzieher«, flüsterte ich. Zum Glück war Mehmet so schlau und hatte einen dabei. Wir versuchten minutenlang, das Schloss des Schranks zu knacken, ohne dass sich irgendwas bewegte. Ich wurde allmählich nervös.
»Scheiße!«, fluchte ich und stocherte immer wilder mit dem Schraubenzieher herum. Dann
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