Im Bus ganz hinten
splitternde Glas zerschnitt meine Hände noch mehr. Das Blut hinterließ Schlieren an der Wand und tropfte auf den Boden. Völlig außer Atem drehte ich mich zu Tilman um.
»Siehst du, jetzt hast du deinen schrecklichen Jungen.«
Er stürmte weinend an mir vorbei.
»Ich rufe die Polizei.« Und das tat er tatsächlich. Nicht mal eine Viertelstunde später, als ich gerade allein in meinem Zimmer saß und damit beschäftigt war, meine wie Feuer brennenden Hände zu verbinden, standen schon drei Beamte vor mir.
»Sie bekommen eine Anzeige wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung«, erklärten sie mir. Und fünf Minuten später tauchten auch Dietlind und Annika auf.
»Das war’s. Du fliegst aus dem Heim. Pack deine Sachen und geh.« »Und wo soll ich jetzt hin?«, fragte ich. Dietlind verschwand ohne eine Antwort in Richtung Telefon. Kurz darauf kam sie wieder.
»Du kannst erst mal in eine Kriseneinrichtung.«
Na, das klang ja toll! Ich packte meine Sachen und fragte mich, was mich jetzt wohl wieder erwarten würde. Mein Leben war ein einziger Schrotthaufen – selbst mein großartiger Neuanfang war nun offenbar kläglich gescheitert. Solange ich noch in meiner eigenen Haut steckte, schien in meinem Leben einfach nichts zu gelingen.
»Hier ist die Wegbeschreibung. Mach’s gut!« Dietlind drückte mir einen Zettel in die Hand und verabschiedete sich ohne Händedruck. Ich verließ das Gebäude und beendete damit meine Karriere als Heimkind. Was war ich jetzt? Ich hatte keine Ahnung, wie man mich in Zukunft wohl noch nennen würde …
Endstation Hoffnung
Ein Obdachloser war ich nicht, aber viel besser war meine nächste Station auch nicht. In der Kriseneinrichtung landeten Leute, die gar nichts mehr hatten und die keiner mehr wollte.
»Ach, du bist also Patrick«, sagte der Leiter des Hauses zur Begrüßung und zog seine rechte Augenbraue hoch.
»Du kannst erst mal hierbleiben. Wir versuchen dich aber so schnell wie möglich an ein betreutes Wohnen zu vermitteln.«
Wow, eine eigene Wohnung? Das klang natürlich geil.
Für den Moment allerdings würde ich es hier aushalten müssen. Von außen sah das Gebäude gar nicht so schlecht aus, es war wie eine kleine Villa. Aber die Möbel im Inneren mussten vom Sperrmüll zusammengeklaut worden sein, die ganze Einrichtung war übelst abgewrackt. In meinem Bett hatten vor mir bestimmt schon hundert andere Jugendliche gepennt. Meine Matratze hatte Flecken in allen möglichen Farben und Formen. Ich wagte zu bezweifeln, dass sie jemals gereinigt worden war.
Die anderen Bewohner der Kriseneinrichtung waren mindestens genauso arm dran wie ich, aber ich wollte mir ihre Geschichten gar nicht erst anhören. Noch mehr Elend konnte ich gerade nicht ertragen. Für mich war die Einrichtung nur ein Platz zum Schlafen. Übergangsweise. Und nachts schlich ich mich sowieso weiterhin raus, um zu sprühen.
Je länger ich in dieser seltsamen Zwischenstation untergebracht war, desto mehr sehnte ich mich wieder nach meiner Familie. Seit dem Vorfall mit dem Messer vor drei Monaten hatten meine Mutter und ich kein Wort mehr gewechselt. Ich vermisste sie irgendwie und hielt unerklärlicherweise noch immer an der Hoffnung fest, dass sich irgendwann zwischen uns alles einrenken könnte. Deshalb wählte ich schließlich die Handynummer von Erich.
»Ich bin’s«, murmelte ich etwas kleinlaut ins Telefon. Ich hoffte inständig, dass er sich trotz allem, was passiert war, freuen würde, meine Stimme zu hören. Doch mein Stiefvater war komisch drauf. Er antwortete mir, aber ich konnte keine Form von Gefühlsregung seinerseits heraushören. Ich hätte nicht sagen können, warum ich ausgerechnet ihn angerufen hatte, ich vertraute vermutlich darauf, dass er bei meiner Mutter ein gutes Wort für mich einlegen könnte. Also sprach ich weiter: »Ich bin jetzt sozusagen obdachlos. Sie haben mich in so eine schreckliche Einrichtung gesteckt. – Wie geht’s eigentlich Mama?« Erich schluckte.
»Ich weiß es nicht. Sie hat sich von mir getrennt«, antwortete er mit zittriger Stimme.
»Wie bitte?« Ich war geschockt.
»Was ist passiert?« Stille. Erich brauchte bestimmt fünf Minuten, bis er die Antwort über seine Lippen brachte.
»Deine Mutter ist jetzt mit meinem Kumpel Andy zusammen.« Krass! Ich war sprachlos. Sie trennte sich tatsächlich von dem Mann, den ich Vater nennen und dessen Namen ich hatte annehmen sollen? Und dann brannte sie auch noch mit seinem besten Freund durch? Sie hatte
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