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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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Nasenflügeln auf die Speisekarte. Das sind zwei erkaltete Herzen, die eines Tages beschlossen haben, ihre eintönigen Single-Existenzen aufs Spiel zu setzen und »in guten wie in schlechten Zeiten« zu vereinen. Ich schiebe den Gang zum Geldautomaten auf – meine Restbestände habe ich praktisch ausgegeben, also werde ich wohl den Karton als Pfand dalassen müssen –, denn es ärgert mich, mit was für einem herrischen Ton die Frau nach meinem Kellner ruft. Der ist gerade in ein angespanntes Gespräch mit der Frau von Schein 10, 12, 19, 30, 85 und 90 vertieft und erklärt ihr unendlich geduldig, dass sie, wenn sie tatsächlich noch einmal spielen wolle, doch wenigstens andere Nummern tippen solle. Oh, Manuel, dir heimlich meinen CV in die Tasche zu stecken, an deiner Seite als Assistentin zu debütieren und alten Damen Zahlen zu präsentieren, könnte selbst für mich, die ich mich mit dieser Spezies auskenne, noch Überraschungen bereithalten.
    Die Liebenden, die vielleicht Eheleute, vielleicht aber auch nur Verwandte sind, rufen nach zwei Kaffee und wollen den heiligen Manuel in einer Weise herumkommandieren, dass sogar Glatzkopf aufschaut.
    Â»Manuel, da sind Gäste«, sagt er.
    Â»Oder nein«, sagt sie, »vielleicht doch besser einen Tee. Und du, was nimmst du? Wenn man es recht bedenkt, kann man in einem so schäbigen Schuppen ohnehin nur schnell einen Espresso trinken.«
    Warum hast du einen so »schäbigen« Schuppen denn überhaupt betreten?, hätte ich sie fast gefragt, da ich mich an Manuels Stelle angegriffen fühle, während Manuel friedlich und lächelnd wie immer – wie schafft er es nur, so tolerant zu sein? – eine Stofftischdecke nimmt und die Treppe heraufeilt. Misch dich nicht ein, Olivia. Manuel schafft das schon alleine, und niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt.
    Â»Lass uns noch mal alles durchgehen«, sagt die Frau.
    Der Liebhaber, der vielleicht ihr Ehemann, vielleicht aber auch nur ein Verwandter ist, bewegt leicht die Lippen, was ich von hier als Zustimmung deute. Sie zieht ein Blatt Papier aus der Tasche und legt es auf die Tischdecke, und plötzlich verspüre ich eine gewisse Nähe zu dieser Frau: auch Sie mit dem Lebenslauf unterwegs, Signora? Das wäre ja ein unglaublicher Zufall. Andererseits, wir leiden schon unter der erdrückenden Konkurrenz der Gleichaltrigen. Wenn jetzt auch noch Leute wie Sie eine Stelle suchen, dann bedeutet das für uns … das Ende.
    Sie sieht nicht aus wie jemand, der arbeitet, Olivia, du bist zu sehr auf dein Thema fixiert.
    Sie mag einfach nur Listen, so wie du, deshalb fuchtelt sie jetzt mit dem Kuli herum und beginnt laut aufzuzählen:
    Antipasti misti – (erledigt)
    Mini-Törtchen – (erledigt)
    Thunfischpaste und Lachs (bringt Amanda mit)
    Grüne und schwarze Oliven – (erledigt)
    Käse – (erledigt)
    Um die Tortellini kümmert sich die Tante, das ist ihre Spezialität
    Soßen und Marmelade haben wir genug
    Fehlen noch: die Gans und der Bûche de Noël.
    Die Dame ist ein Wirbelwind. Der Mann hingegen ist so zäh und mager, dass es schon nicht mehr schön ist und man ihn nur schwer mit diesen Kalorienbomben in Verbindung bringen kann. Daran, wie er nickt, erkennt man aber, dass er schon Schlimmeres erlebt hat und folglich gute Miene zu diesem aufgeregten Geschnatter machen kann. Vielleicht ist sein Problem weniger, nicht verliebt zu sein, als nicht geliebt zu werden, und so denkt er jetzt vielleicht: »Das ist es halt, was Weihnachten aus uns macht – morgen gehen wir zu meiner Familie und übermorgen zu deiner, eine Liste von Delikatessen und zähe Verhandlungen, wie man auf dem Familienschachbrett die Verwandten unterbringt, die sich einmal im Jahr sehen, um gemeinsam die Einsamkeit zu vertreiben.« Für ihn ist es bestimmt eine ganz gewöhnliche halbe Stunde, wie es schon viele gegeben hat, sodass es auch keinen Grund gibt, ausgerechnet jetz t den Aufstand zu proben, da er nichts tun muss, als den Espresso zu trinken, den Manuel ihm mit gewohnter Eleganz hinstellt, ohne den Monolog der Tambourmajorin zu unterbrechen.
    Als die Liste abgearbeitet ist, zieht sie eine Plastiktüte aus der Tasche und redet weiter: »Hoffentlich gefallen ihr die Handschuhe. Wir hätten uns vielleicht noch ein bisschen umschauen sollen.«
    Atmen Sie tief ein und aus, Signora, dann werden Sie sich sofort besser

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