Im Café der moeglichen Traeume
Zwischenzeit dachte ich tagelang nur an ihn, weinte nächtelang in mein Kissen, träumte von ihm, wenn ich denn überhaupt schlafen konnte, versuchte ihm in offenkundig masochistischen Anwandlungen auf dem Flur zu begegnen, stürzte mich in den Fahrstuhl, um mit ihm zusammen hochzufahren, und bereute es bitter, wenn das gelang. Machte mich folglich vor allen, die von der Sache wussten, lächerlich (also vor der gesamten Agentur).
Die Phase meines excursus war gepflastert mit verpassten Gelegenheiten, und so schrumpft sie in meinem Lebenslauf auf eine Zeile zusammen: Juniorassistentin in der PR-Abteilung der Werbeagentur Hastings & Sons.
Als sich die Angelegenheit mit Leo zuspitzte, bat ich um eine letzte Unterredung, so etwas wie die letzte Zigarette eines Todeskandidaten. Ein ultimatives Gespräch. Meine Bitte trug ich mit fester, aber sanfter Stimme vor, ohne auch nur einen Moment die Ruhe zu verlieren.
Es war die reinste Qual.
Er spulte seine Sätze ab â »du bist eine ganz besondere Freundin für mich«; »eigentlich möchte ich mit dir zusammen sein«; »du bist eine der wenigen Personen, mit denen ich über alles reden kann«; »es geht mir unglaublich gut mit dir, auch sexuell ⦠aber es fehlen einfach die Schwingungen, und du hast etwas Besseres verdient« â, und ich war der Ohnmacht nahe. Verlassen zu werden, weil die Schwingungen fehlen, ist nicht demütigend, es ist einfach dämlich, und das schmerzt mehr als die Trennung an sich und die Küsse im Fahrstuhl (und all die anderen). Leonardos Worte waren nicht authentisch, er quatschte einfach irgendetwas nach, und doch hatte er recht, da er diese Gefühle tatsächlich nicht verspürte â das, was die Psychologen Ãbertragung nennen und die Dichter Verliebtheit. Im Grunde war es nicht seine Schuld. Er hätte sich einfach nur besser ausdrücken sollen.
Und sag mir bitte nicht, dass wir Freunde bleiben sollen.
Der Fahrstuhl war ein Zufallsort. Ich kam und sah. Eine Warnung.
Leo ist nicht der richtige Mann für dich, Olivia. Schluss, aus.
Es tat allerdings weh.
Angesichts dieses filmreifen Kitsches (auch im Film küssen sie sich immer im Fahrstuhl, in Greyâs Anatomy etwa) hätte ich die Botschaft einfach ignorieren können.
Ich hätte einfach so tun können, als hätte ich nichts gesehen.
Ich hätte ihm und dieser Tussi eine Szene machen können, die sie so schnell nicht vergessen hätten. Ich hätte in den Fahrstuhl steigen können. Oder ihm sagen, dass mein Herz der Pflege bedarf.
Stattdessen ging ich in den Wald.
Und suchte mir einen Baum.
Es ging mir so gut, als ich an der harten Rinde der Buche saà und um mich herum die rötlichen Blätter herabregneten. Ich machte eine Polaroidaufnahme von dem Baum. Das Foto kam aus dem Schlitz gerutscht. WeiÃ.
»Mach noch eins, und leg es ans Herz, wo es warm ist.«
Polaroidaufnahmen sind wie Menschen, sie brauchen emotionale Zuwendung, und wenn die AuÃentemperaturen zu kalt sind, weigern sie sich, auf die Welt zu kommen. Ich nahm das Foto unter den Mantel, setzte mich auf den schütteren Rasen, schloss die Augen und lehnte mich an meinen Baum-Guru. Als ich die Finger in den Boden steckte, spürte ich, wie die Strahlen des winterlichen Bodens in meinen Körper eindrangen. Es hätte der Abspann eines Rohmer-Films sein können. Zu Hause holte ich die Polaroidaufnahme aus ihrem warmen Versteck, und da war sie dann, die Buche mit ihrem massiven Stamm, absolut scharf. Ich war am Boden zerstört, innerlich zerbrochen, und sagte mir ständig: »Das geht vorbei, Olli, das geht vorbei«, und tief im Innern wusste ich, dass es vorbeigehen würde.
Früher oder später geht alles vorbei, oder?
Ein paar Tage später schrieb ich Leo einen langen Brief. Einschreiben ohne Empfangsbestätigung.
Wenige Stunden vor Auslaufen meines Vertrags und genau drei Wochen nach der erbärmlichen Szene am Fahrstuhl stand ich plötzlich wieder vor ihm. Der Flur war so eng, dass ich ihm nicht aus dem Weg gehen konnte.
Er wagte es nicht, mir in die Augen zu schauen. Also baute ich mich vor ihm auf, pflanzte ihm einen Kuss auf die Stirn, wünschte ihm viel Glück und lieà ihn steif wie ein Brett in den Gängen von Hastings & Sons stehen. Er blieb stumm und berührte verblüfft die Stelle, auf die ich ihn geküsst hatte.
Du kannst nicht lügen, was?
Die Zeit nach Leo war
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