Im Café der moeglichen Traeume
eine abrupte Rückkehr ins Singledasein, eine lange Phase kreativer Einsamkeit, die ich mit der Ãbersetzung eines Handbuchs über die berühmtesten Diäten der Welt verbrachte â das perfekte Alibi, um mich zu Hause zu verkriechen, die Nahrung zu verweigern und in Ruhe vor mich hin zu heulen. In dieser Zeit habe ich die ehrenamtliche Tätigkeit im Altersheim für Musiker aufgenommen und damit aufgehört, langfristige Prognosen zu machen. Ein paar Stunden lang dachte ich sogar, dass es einfach nicht stimmt, dass alles einen Sinn hat. Es passieren Dinge, die nichts miteinander zu tun haben und nur durch eigentümliche, vom Zufall bestimmte Launen aufeinanderfolgen.
Ein bisschen wie bei der Tambourmajorin, die nun, nachdem sie ihre Delikatessenliste fertiggestellt und ihren Espresso getrunken hat, nervös in ihrer Tasche herumkramt. Dann zieht sie sich wie eine Mangazeichnerin mit einem Konturenstift die schmalen Lippen nach. Er beobachtet sie. Verliebt, möchte man fast sagen. Jetzt steht sie auf, er hilft ihr in den Biberpelz, sie setzt sich den Hut wieder auf, wozu sie nicht einmal einen Spiegel braucht, zieht Finger für Finger die Handschuhe an, nimmt den Arm ihres Liebhabers, der vielleicht ihr Ehemann, vielleicht aber auch nur ein Verwandter ist, und lässt sich wie eine Schlafwandlerin zur Treppe führen. Das Geheimnis zu bemühen, das nichts mit Scharlatanerie zu tun hat, ist die einzige Möglichkeit, um die Alchimie dieser Beziehung zu begreifen.
Was wohl meine GroÃmutter dazu sagen würde, die gerade, weil sie an das Geheimnis der Liebe glaubte, jedwedes Missverhältnis bei Paaren tolerierte? Mit ihrem gesunden Menschenverstand pflegte sie zu sagen, dass es, wenn zwei Menschen zusammen seien, schon einen Grund dafür gebe.
»Frohe Weihnachten, frohe Weihnachten«, sage ich und schäme mich für meine unfeinen Gedanken. Jede Liebe hat ihre Berechtigung, und er wird schon seine Gründe dafür haben, ihr nahe sein zu wollen. Er schenkt mir ein Lächeln, sie nicht, und dieses Mal flattern auch keine Gedichte umher.
Ich beuge mich über das Geländer und sehe sie hinabsteigen, an der Kasse zahlen und hinausgehen. Sie machen einen Bogen um Glatzkopf, der die Sägespäne wegfegt, und um ein Mädchen, das einen Mantel mit Flügelchen trägt, eine Bar-Elfe in Turnschuhen, die bei jedem Schritt blinken, wenn sie um den Stuhl ihrer Mama herumläuft.
Zauberhaft.
Ein Hoffnungsschimmer, wie alle Kinder mit Flügeln.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass unten zwei von drei Tischen von einer jungen Frau mit ihren Kindern besetzt werden. Die Hälse der Kleinen schauen aus Kapuzenjacken heraus, leise Stimmchen ertönen, aber trotz des allgemeinen Kommens und Gehens schreit die Mama Courage nicht, sie regt sich nicht auf und läuft den Kindern auch nicht nach, sondern trinkt in aller Ruhe ihren Cappuccino und schaukelt sanft den Kinderwagen mit dem Kleinsten, das mit erhobenen Fäusten schläft. Von hier oben sind sie ein diszipliniertes Grüppchen, von dem ich unbedingt eine Polaroidaufnahme machen müsste, als mir plötzlich einfällt, dass ich für Sarahs Sohn noch kein Geschenk habe (für ihn werde ich eine Ausnahme machen, da ich kein Spielzeug basteln kann).
Sarah hat im Alter von neunundzwanzig Jahren und drei Monaten geheiratet, schwanger.
Seit dem Tag des ersten Ultraschalls hat sie sich ständig übergeben, aber das konnte ihrer Schwangerschaft nicht die selige Aura nehmen, in der sie versunken war. Innerhalb weniger Monate hörte sie auf, wie ein erwachsener Mensch zu reden. Statt ihrer allseits geschätzten Werbesprüche hatte sie nur noch die möglichen WeiÃtöne ihres Schleiers im Kopf, beschrieb in allen Einzelheiten das neueste Kinderwagenmodell, mit dem sie samt Baby joggen gehen könne, erklärte, dass sie mindestens ein Jahr lang stillen würde, und verbrachte die restliche Zeit damit, in den einschlägigen Magazinen die Bräute zu studieren. Sie benahm sich wie eine Person, die um jeden Preis glücklich sein möchte, indem sie das perfekte Brautkleid und die perfekten Schuhe findet, dabei war sie längst glücklich und ermächtigte uns zu dem Gedanken, »dass es also doch möglich ist«.
Um ihren zukünftigen Mann kennen zu lernen, hatten ihr siebenundzwanzig Minuten gereicht, die Zeit für einen kompletten Wasch- und Trockengang im Waschsalon unten auf der
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