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Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Modiano
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lange. Und ich konnte es mir nicht als Verdienst anrechnen. Ich war eine Art Analphabet, ohne die geringste Allgemeinbildung, aber ich hatte mir Verse gemerkt, so wie einer, der jedes beliebige Stück auf dem Klavier spielt und keine Noten lesen kann. Bob Storms hatte mir etwas voraus: Er beherrschte auch das gesamte Repertoire der englischen, spanischen und flämischen Poesie. Am Tresen stehend, rief er mir herausfordernd zu:
    I hear the Shadowy Horses, their long manes a-shake
    Oder:
    Como todos los muertos que se olvidan
    En un montón de perros apagados
    Oder auch:
    De burgemeester heeft ons iets misdaan
    Wij leerden, door zijn schuld, het leven haten
    Einen Abend haben wir bei Bob Storms verbracht. Er hatte uns eingeladen, Louki und mich, zusammen mit den anderen: mit Annet, Don Carlos, Bowing, Zacharias, Mireille, La Houpa, Ali Cherif und dem Jungen, den wir überzeugt hatten, die École des Mines aufzugeben. Noch andere Gäste, die ich aber nicht kannte. Er wohnte am Quai d’Anjou, in einer Wohnung, deren obere Etage ein riesiges Atelier war. Er empfing uns hier zur Lesung eines Stücks, das er auf die Bühne bringen wollte: Hop Signor! Wir waren vor den anderen hingekommen, und mich beeindruckten die Kandelaber, die das Atelier erleuchteten, die sizilianischen und flämischen Marionetten, die von den Dachbalken herabhingen, die Spiegel und Renaissancemöbel. Bob Storms trug sein schwarzes Samtwams. Ein großes Panoramafenster ging auf die Seine. Beschützend legte er die Arme um Loukis Schulter und um meine und sagte uns seinen gewohnheitsmäßigen Satz:
    Gefährten schlechter Tage,
    ich wünsch’ euch gute Nacht.
    Dann zog er einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn mir. Er erklärte uns, das seien die Schlüssel zu seinem Haus auf Mallorca und wir sollten so bald wie möglich hin. Und bis September dort bleiben. Er fand, dass wir schlecht aussahen. Was für ein seltsamer Abend … Das Stück hatte nur einen Akt, und die Schauspieler haben es ziemlich schnell gelesen. Wir saßen um sie herum. Von Zeit zu Zeit mussten wir alle, während der Lesung, auf ein Zeichen von Bob Storms » Hop Signor! …« schreien, als bildeten wir einen Chor. Alkohol wurde in großen Mengen konsumiert. Und noch andere giftige Substanzen. Ein Büfett war mitten im großen Salon der unteren Etage angerichtet. Bob Storms servierte höchstpersönlich die Getränke in Humpen und Kristallschalen. Immer mehr Menschen. Irgendwann stellte mir Bob Storms einen Mann in seinem Alter vor, der aber viel kleiner war als er, ein amerikanischer Schriftsteller, ein gewisser James Jones, von dem er sagte, er sei »sein Wohnungsnachbar«. Nach einer Weile wussten wir nicht mehr so recht, Louki und ich, was wir hier zwischen all den Unbekannten verloren hatten. So viele Leute, denen wir bei unseren ersten Schritten ins Leben begegnen und die niemals davon erfahren und die wir niemals wiedererkennen.
    Langsam haben wir uns zum Ausgang geschlichen. Wir waren überzeugt, dass niemand in diesem Gewühl unser Verschwinden bemerkt hatte. Doch kaum waren wir durch die Salontür getreten, kam Bob Storms uns hinterher.
    »So, so … Ihr lasst mich sitzen, Kinder?«
    Er zeigte sein übliches Lächeln, ein breites Lächeln, das ihn mit seinem Bart und seiner hohen Statur aussehen ließ wie eine Gestalt der Renaissance oder des Grand Siècle, wie Rubens oder Buckingham. Und doch flackerte Unruhe in seinem Blick.
    »Ihr habt euch nicht allzusehr gelangweilt?«
    »Nein, nein«, habe ich gesagt. »Es war sehr schön, Hop Signor …«
    Er legte beide Arme um unsere Schultern, um Loukis und meine, wie er es im Atelier gemacht hatte.
    »Also, ich hoffe, wir sehen uns morgen …«
    Er zog uns in Richtung Tür und hielt dabei unsere Schultern umfasst.
    »Und vor allem, macht euch schnell auf den Weg nach Mallorca, um Luft zu schnappen … Ihr habt es nötig … Die Hausschlüssel habe ich euch gegeben …«
    Auf dem Treppenabsatz hat er uns beide lange angeschaut. Dann rezitierte er:
    Der Himmel ist wie das zerrissne Zelt eines lumpigen Zirkus.
    Wir gingen die Stufen hinunter, Louki und ich, und er beugte sich über das Geländer. Er wartete darauf, dass ich wie sonst einen Vers sagte, als Antwort auf den seinen. Aber mir wollte nichts einfallen.
    Ich habe das Gefühl, dass ich die Jahreszeiten durcheinanderbringe. Ein paar Tage nach dieser Abendgesellschaft habe ich Louki nach Auteuil begleitet. Mir ist, als sei das im Sommer gewesen, oder auch im Winter, an

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