Im Dienst des Seelenfängers
Annalen vernichtet werden, und das Ende der Geschichte der Kompanie wird darin verzeichnet sein. Ruhe in Frieden, Du Letzte der Kampfbruderschaften. Du warst mir Heim und Familie… Neuigkeiten trafen ein, die uns an der Zährenstiege vorenthalten worden waren. Nachrichten von anderen Rebellenheeren, die aus dem Norden auf einer westlicheren Route als unserem Rückzugsweg vorrückten. Die Liste der verlorenen Städte war lang und entmutigend, selbst wenn man den Berichterstattern Übertreibungen zugestand. Besiegte Soldaten überschätzen immer die Stärke ihres Feindes. Das besänftigt jene Seelen, die ihre eigene Minderwertigkeit argwöhnen.
Auf dem langen sanften Hangmarsch nach Süden zu den fruchtbaren Ackerlanden nördlich
von Charm schlug ich Elmo vor, während er neben mir schritt: »Wenn irgendwann mal keine Unterworfenen in der Nähe sind, legt doch dem Hauptmann nahe, daß es klüger wäre, wenn er die Kompanie von Seelenfänger trennt.« Er sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Meine alten Gefährten taten das häu- figer in letzter Zeit. Seit Hardens Untergang war ich mürrisch geworden, düster und schweig- sam. Nicht, daß ich zu meinen besten Zeiten das reine Feuerwerk der guten Laune gewesen war, das nun wirklich nicht. Der Druck zermalmte mir die Seele. Ich sah davon ab, ihn wie sonst auch in den Annalen abzulassen, weil ich befürchtete, daß Seelenfänger irgendwie ent- decken würde, was ich geschrieben hatte. »Es wäre besser, wenn wir nicht allzu sehr mit ihm in Verbindung gebracht werden«, fügte ich hinzu.
»Was ist dort draußen passiert?« Mittlerweile kannte jeder die grobe Geschichte. Harden ge- tötet. Der Gehenkte gefallen. Raven und ich die einzigen Soldaten, die mit dem Leben davon- gekommen waren. Alle hatten einen unstillbaren Durst nach Einzelheiten entwickelt. »Das kann ich dir nicht sagen. Aber sag es ihm. Wenn kein Unterworfener in der Nähe ist.« Elmo stellte seine Berechnungen an und kam zu dem Schluß, der von der Wahrheit nicht all- zuweit entfernt lag. »In Ordnung, Croaker. Das mache ich. Paß auf dich auf.« Ich würde schon auf mich aufpassen. Wenn das Schicksal mich ließe. Das war der Tag, an dem wir die Nachricht von neuen Siegen aus dem Osten erhielten. Die Rebellenstellungen brachen so rasch zusammen, wie die Armeen der Lady marschieren konn- ten.
Es war auch der Tag, an dem wir erfuhren, daß sämtliche der vier nördlichen und westlichen Armeen der Rebellen angehalten hatten, um sich auszuruhen und Männer und Vorräte für einen Ansturm auf Charm zu sammeln. Nichts stand zwischen ihnen und dem Turm. Das heißt, nichts bis auf die Schwarze Schar und ihre Ansammlung von erschöpften Männern. Am Himmel steht der große Komet, der böse Vorbote aller großen Schicksalswendungen. Das Ende ist nah.
Immer noch ziehen wir uns zurück zu unserer letzten Verabredung mit unserem Schicksal. Einen letzten Zwischenfall in der Geschichte unserer Begegnung mit Harden muß ich noch verzeichnen. Er ereignete sich drei Tage nördlich vom Turm und bestand aus einem weiteren Traum der Art, wie ich ihn am Kopf der Stiege durchlitten hatte. Derselbe goldene Traum, der vielleicht gar kein Traum gewesen war, versprach mir: »Meine Getreuen haben nichts zu be- fürchten.« Wieder wurde mir ein kurzer Blick auf jenes herzzerreißende Gesicht gewährt. Und dann war es fort, und die Furcht kehrte zurück und war um nichts geringer geworden. Die Tage verstrichen. Die Meilen zogen an uns vorbei. Der große häßliche Block des Tur- mes erhob sich über dem Horizont. Und am Nachthimmel wurde der Komet immer heller.
SECHSTES KAPITEL
Lady
Allmählich wurde das Land silbrig grün. Die Morgenröte verstreute rote Federn auf die ummauerte Stadt. Als die Sonne den Tau berührte, blitzten goldene Sommersprossen über die Bastionen. Der Dunst zog sich in die Niederungen zurück. Fanfaren kündigten die Morgen- wache an.
Der Leutnant beschattete seine Augen und spähte blinzelnd hinüber. Er grunzte widerwillig und sah zu Einauge hinüber. Der kleine schwarze Mann nickte. »Es geht los, Goblin«, sagte der Leutnant über die Schulter.
Im Wald hinter uns regten sich Männer. Goblin kniete neben mir und lugte auf das Acker- land hinaus. Er und vier andere Männer waren als arme Stadtfrauen verkleidet und hatten die Köpfe mit Tüchern umwickelt. Sie trugen irdene Töpfe, die an Holzjochen baumelten, und hatten ihre Waffen in ihrer Kleidung verborgen. »Geht. Das Tor ist offen«, sagte
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