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Im Dienst des Seelenfängers

Titel: Im Dienst des Seelenfängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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glaube, er war ebenso erfreut über sein Hiersein wie ich über das meinige. Die Zeit schlich dahin. Der Winkel der Sonnenlichtschäfte wurde immer flacher. Sie erlo- schen nacheinander. Allmählich fragte ich mich, ob Ravens Befürchtungen nicht zutrafen. Nach Einbruch der Dunkelheit würden wir leichte Ziele sein. Die Unterworfenen brauchen die Sonne nicht, um zu sehen.
Ich sah Raven an. Was ging in seinem Kopf vor? Sein Gesicht war eine finstere Maske. Das gleiche Gesicht setzte er auch beim Kartenspielen auf. Ich sprang vom Stamm herunter, vertrat mir die Beine und nahm dabei den gleichen Weg, den auch schon der Hinker genommen hatte. Es gab sonst nichts zu tun. Ich warf einen Tan- nenzapfen nach einem Buckel auf dem Stamm, den Raven und ich als Deckung verwendet hatten… Und er duckte sich! Ich begann schon, zu Wispers verdammtem Schwert zu rasen, bevor ich völlig erfaßte, was ich gesehen hatte. »Was ist los?« fragte Seelenfänger, als ich auslief. Ich improvisierte. »Habe mir wohl einen Muskel gezerrt. Ich wollte mich mit ein paar Sprints auflockern, aber irgendwas ist mit meinem Bein nicht in Ordnung.« Ich massierte mir die rechte Wade. Er schien damit zufrieden zu sein. Ich sah wieder zum Stamm und entdeckte nichts mehr.
Doch ich wußte, daß Schweiger hier war. Hier sein würde, falls er gebraucht wurde. Schweiger. Wie zur Hölle war er hierhergekommen? Auf die gleiche Art wie wir anderen? Verfügte er über Tricks, die niemand zuvor vermutet hatte? Nach angemessener Mimerei hinkte ich wieder zu Raven hinüber. Durch Gesten versuchte ich ihm begreiflich zu machen, daß wir Hilfe hätten, falls es hart auf hart gehen sollte, doch die Nachricht drang nicht durch. Er war zu selbstversunken.
    Es war dunkel. Über uns schien ein Halbmond und schickte einige sanfte silbrige Strahlen auf die Lichtung. Fänger saß immer noch auf dem Steinhaufen. Raven und ich saßen immer noch auf dem Stamm. Der Hintern tat mir weh. Meine Nerven lagen blank. Ich war müde und hungrig und verängstigt. Ich hatte die Nase voll, aber nicht den Mut, das auch auszusprechen. Plötzlich schüttelte Raven seinen Bammel ab. Er erfaßte die Lage und fragte: »Was zur Höl- le machen wir hier eigentlich?«
Seelenfänger wachte auf. »Wir warten. Es sollte nicht mehr lange dauern.« »Auf was warten wir?« wollte ich wissen. Wenn Raven hinter mir steht, kann ich auch tap- fer sein. Seelenfänger starrte in meine Richtung. Mir wurde eine unnatürliche Bewegung im Hain hinter mir bewußt, und Raven machte sich sprungbereit. »Worauf warten wir?« wieder-
    holte ich mit schwacher Stimme.
»Auf mich, Arzt.« Ich spürte den Atem des Sprechers auf meinem Nacken. Ich sprang halbwegs zu Fänger und blieb nicht stehen, bis ich Wispers Klinge erreicht hatte. Fänger lachte. Ich fragte mich, ob er bemerkt hatte, daß mein Bein besser geworden war. Ich warf einen kurzen Blick zu dem kleineren Stamm. Da war nichts. Ein helles Licht schien über den Stamm, auf dem ich gesessen hatte. Ich konnte Raven nicht sehen. Er war verschwunden. Ich umklammerte Wispers Schwert und war fest entschlossen, Seelenfänger noch einen guten Hieb zu versetzen. Das Licht schwebte über den gefallenen Baumriesen, sank vor Fänger zu Boden. Es war zu hell, als daß man es länger hätte ansehen können. Es leuchtete die gesamte Lichtung aus. Seelenfänger ließ sich auf ein Knie nieder. Und dann begriff ich. Die Lady! Dieser feurige Glanz war die Lady. Wir hatten auf die Lady gewartet! Ich starrte, bis mir die Augen weh taten. Und beugte ebenfalls das Knie. Ich bot ihr Wispers Schwert auf meinen Händen an wie ein Ritter, der seinem König Treue schwört. Die Lady! War das meine Belohnung? Ihr selbst zu begegnen? Das, was mich von Charm aus gerufen hatte, verzehrte und erfüllte mich, und einen närrischen Augenblick lang war ich ganz und gar von Liebe erfüllt. Aber ich konnte Sie nicht sehen. Ich wollte sehen, wie Sie aussah. Sie verfügte ebenfalls über jene Fähigkeit, die mich an Seelenfänger so verstörte. »Diesmal noch nicht, Croaker«, sagte sie. »Aber bald, wie ich glaube.« Sie berührte meine Hand. Ihre Finger versengten mich wie die erste intime Berührung meiner ersten Geliebten. Erinnert ihr euch an diesen rasenden, erschütternden, tobenden Augenblick der Erregung? »Die Belohnung kommt später. Dieses Mal soll es dir gestattet sein, Zeuge eines Rituals zu werden, das seit fünfhundert Jahren niemand mehr gesehen hat.« Sie regte sich. »Das muß doch

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