Im Dienste der Comtesse
Schon waren die weißen Besätze ihrer Ärmel voller Tonkrümel, auch an dem schwarzen Seidenkleid hafteten sie bereits überall, und das Haar fiel ihr wirr und aufgelöst über die Schultern. Eine schwarze Feder schwebte herab, geriet kurz in den Luftsog ihrer heftig hantierenden Hände und landete schließlich auf dem Klumpen. Mit dem Rücken einer tonbeschmierten Hand strich Mélusine sich die Haare aus dem Gesicht.
„Ich – habe – keinen – Liebhaber“, stieß sie gepresst hervor. Bei jedem Wort hieb sie wütend auf den Ton ein.
„Nein, Madame.“ Aber ihr Zorn war so gewaltig, dass Pierce sich fragte, ob sie vielleicht doch einen Geliebten gehabt hatte, von dem sie betrogen worden war.
„Ich habe niemals einen Geliebten gehabt! Wie kann er nur so geringschätzig über mich denken? Meine Tugend – meine Ehre! Nichts. Weniger als nichts, das ist ihm sogar egal – Hauptsache, ich bringe keinen Bastard zur Welt! Wie kann er nur so wenig von mir halten?“ Sie griff nach einem Messbecher und schleuderte ihn quer durch das Zimmer. Er prallte gegen die Wand zu Pierces Rechten, fiel scheppernd zu Boden und rollte in eine Ecke.
Mélusine marschierte aufgebracht auf Pierce zu und blieb unmittelbar vor ihm stehen. „Männer sind gefühllose, scheinheilige Ungeheuer. Nun sagen Sie doch etwas! Haben Sie nichts dazu zu sagen?“ Mit der flachen Hand stieß sie gegen seine Schulter.
„Nicht alle Männer“, widersprach er ruhig.
„O nein. Sie sind hier, weil Sie für Ihre Mutter und Ihre Schwester sorgen müssen. Haben Sie auch schon einen Ehemann für Ihre Schwester parat? Einen, der sie Ihnen abnehmen kann, damit Sie sich wieder ruhigen Gewissens mit Ihrer Geliebten befassen können?“
Pierce umfasste ihr Handgelenk. „Madame, die Duchesse war nicht meine Geliebte. Sagen Sie mir eins: Warum soll ich Ihnen glauben, dass Sie keinen Liebhaber haben, wenn Sie darauf bestehen, ich hätte eine Geliebte – obwohl ich Ihnen mehrfach versichert habe, dem wäre nicht so?“
Sie stieß den Atem aus und senkte den Kopf. Ihre Frisur hatte sich vollkommen aufgelöst. Überall staken Haarnadeln hervor. Pierce ließ ihr Handgelenk los und begann, behutsam die Nadeln, Federn und Bänder aus ihrem Haar zu lösen.
Sie hob ruckartig den Kopf und stieß einen kleinen Schmerzenslaut aus, weil es durch die abrupte Bewegung ziepte. „Was machen Sie da?“
„Sie sehen aus wie ein Vogel in der Mauser.“
„Hm.“ Sie senkte den Kopf wieder und ließ ihn seine Arbeit fortsetzen. Ein- oder zweimal schien sie ganz leicht in seine Richtung zu schwanken, fast sah es so aus, als wollte sie sich an ihn anlehnen. Aber die Bewegung war so schwach, dass er nicht sicher sagen konnte, ob ihn nicht seine Sinne – oder sein Instinkt – trogen.
„Hier.“ Er gab ihr die Nadeln, die er entfernte, und sie wölbte die Hände, um sie zu halten. „Madame, hatten Sie je einen Geliebten, der Sie betrogen hat?“, erkundigte er sich vorsichtig. „Einen, dem Sie vielleicht vertraut haben und der Sie enttäuscht hat?“
Wieder hob sie heftig den Kopf, und dieses Mal merkte sie den Schmerz gar nicht, als sich Pierces Finger in den Haarsträhnen verfingen. „Ich habe es wieder und wieder …“
„Ich weiß. Stehen Sie still, sonst tue ich Ihnen weh.“
„Ihre Anschuldigung tut mir weh.“ Und das stimmte sogar, weit mehr als die Bemerkung eines Bediensteten und im Grunde völlig Fremden hätte schmerzen dürfen. „Mein Haar ist mir gleichgültig.“ Sie versuchte zurückzuweichen, aber er hielt ihre Schulter mit einer Hand fest.
Sie erstarrte. Ihr Kleid war so geschnitten, dass sie seine Hand auf ihrer bloßen Haut spürte. Er berührte sie! Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie nicht nur ganz allein, sondern auch außer Hörweite anderer Menschen waren. Vor kurzem noch war ihr Herz vor Zorn gerast. Inzwischen hatte sie sich etwas beruhigt, doch nun begann es erneut schneller zu schlagen, diesmal vor Ungewissheit. Seit ihrer ersten Begegnung hatte sich das Thema Liebhaber immer wieder in ihre Gespräche geschlichen. Ursprünglich hatte er geglaubt, sie sei an seinen Liebesdiensten interessiert … Glaubte er jetzt …?
„Treten Sie zurück!“, befahl sie mit vor Nervosität brüchiger Stimme.
„Haben Sie Angst vor mir?“
„Natürlich nicht.“ Am liebsten wäre sie selbst zurückgewichen, aber dazu war sie zu stolz. Außerdem hatte sie oft genug Katzen auf der Jagd nach Mäusen gesehen, um zu wissen, dass Flucht den
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