Im Dienste der Comtesse
mir!“
„Auch mein freizügiges Naturell?“ In ihrem Ärger war sie plötzlich wie berauscht. „Warum haben Sie mir nicht gesagt, wie Bertier gestorben ist?“
„Wie bitte?“
„Haben Sie denn nicht die Gerüchte gehört – oder suchen Sie sich immer nur die aus, die Sie glauben wollen? Ich habe heute Nachmittag erfahren, dass Bertier durch einen einzigen Schwertstreich von einem Adeligen getötet worden ist. Ihr habt mir erzählt, er wäre von Wegelagerern überfallen worden.“
Ihr Vater starrte sie an. „Das habe ich geglaubt. So hat man es mir berichtet.“
„Aber Sie haben sich seine Leiche ebenfalls nicht angesehen?“
„Tot war er mir nicht mehr von Nutzen“, wehrte ihr Vater schroff ab. „Lebend allerdings auch nicht sehr, wie sich schließlich herausgestellt hat. Ich hatte ihm vertraut, als er behauptete, seine erste Frau wäre unfruchtbar gewesen. Ich hätte der Sache gründlicher nachgehen müssen.“
„Etwa, indem Sie darauf bestanden hätten, dass er erst eins der Dienstmädchen schwängerte, um sicherzugehen, dass er auch für Ihre Tochter geeignet sei?“, bemerkte Mélusine sarkastisch.
„Sei nicht geschmacklos“, tadelte ihr Vater ungeduldig.
„Sie wissen also nicht, wie er gestorben ist?“
„Ich weiß nur, was mir der Inspektor erzählt hat. Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich hielt es für wichtiger, dich nach Bordeaux zu bringen.“
„Und meine nächste Ehe zu arrangieren.“
„Dieses Mal wird es ein Jüngerer sein“, versicherte ihr Vater in einem etwas versöhnlicheren Tonfall.
„Der wenigstens zwei, drei Bastarde vorweisen kann?“
„Vielleicht eine eheliche Tochter von seiner ersten Frau.“
„Mein Gott.“ Mélusine hob die Hände und ließ sie dann wieder auf die Stuhllehne fallen.
„Geh zurück nach Bordeaux“,sagte ihr Vater.„Ich werde bald einen neuen Ehemann für dich finden. Einen, der dir die Söhne schenken kann …“
„Die Sie brauchen“, wiederholte Mélusine niedergeschlagen. „Ich hingegen möchte nur in Ruhe und Frieden leben. Mehr habe ich nie gewollt.“
„Ehe du nicht gut verheiratet und Mutter bist, wirst du weder das eine noch das andere haben.“ Raoul verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen. „Ich schicke dir Daniel, damit er dich nach Bordeaux bringt.“
4. KAPITEL
Pierce folgte Mélusines Vater unauffällig die Treppe hinunter, um sicher zu sein, dass er wirklich das Haus verließ. Er war außer sich über das, was er eben mitangehört hatte. Es hatte ihn seine ganze Beherrschung gekostet, nicht einzugreifen und Raoul Fournier kurzerhand aus dem Haus zu werfen. Kein Mann sollte gegenüber seiner Tochter so beleidigend sein, das war grausam und entehrend. Pierce konnte Erpressung nicht dulden, aber er verstand die Not jetzt besser, die Mélusine möglicherweise zu solch einem Schritt bewegt hatte. Geld konnte nicht alle Probleme aus der Welt schaffen, doch es konnte ihr helfen, endlich die Kontrolle ihres Vaters abzuschütteln.
Er nahm jeweils zwei Stufen auf einmal, um in den Salon zurückzueilen, doch bevor er dort ankam, sah er sie hinausstürzen und die nächste Treppe hinauflaufen. Ohne zu zögern folgte er ihr.
Sie suchte einen Raum in der obersten Etage auf, den Pierce noch nie gesehen hatte. Vor den Fenstern hingen keine Vorhänge, das ganze Zimmer war warm von Sonnenlicht durchflutet. Pierce warf einen ersten flüchtigen Blick um sich und bemerkte zwei solide Werkbänke, diverses Künstlerzubehör sowie mehrere kleine Fässer.
Mélusine öffnete energisch eines davon, entnahm ihm etwas, das wie ein großer Klumpen Ton aussah, und schmetterte diesen auf die eine Werkbank. Pierce beobachtete belustigt, wie sie den Klumpen wütend zu schlagen und zu kneten begann. „Was machen Sie da?“, fragte er schließlich.
„Wenn noch Luftblasen drin sind, kann ich ihn nicht brennen. Er würde im Brennofen explodieren.“ Sie griff nach einem Stück Draht mit zwei Holzgriffen daran und schnitt damit den Tonklumpen in zwei Hälften. Danach legte sie die beiden Teile aufeinander und knetete sie abermals mit ruckartigen, grimmigen Bewegungen durch.
Pierce starrte sie an. Er hatte erwartet, dass sie weinen oder sich in ihrem Schlafzimmer verkriechen würde. Dass sie ihren Zorn und ihre Verzweiflung jedoch körperlich abreagierte, überraschte ihn. Einen solchen Temperamentsausbruch hätte er ihr nie zugetraut. Flüchtig fragte er sich, ob sie in der Liebe zu ebenso viel Leidenschaft fähig wäre.
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