Im Dienste der Comtesse
Jagdinstinkt meist nur noch mehr anreizte. „Ich bin keine hirnlose Maus.“
„Nein.“ Er löste die Finger aus ihrem Haar. Aber anstatt die Hand sinken zu lassen, legte er sie ihr auf die andere Schulter.
Sie ballte die eigenen Hände zu Fäusten, doch als sich die Nadeln in ihre Handflächen bohrten, ließ sie alles fallen, um ihn abwehren zu können.
„Madame, wenn Sie wirklich glauben, ich wäre im Begriff, mich auf Sie zu stürzen, dann ist eine Hand auf meiner Brust sicher keine geeignete Abwehrmaßnahme“, sagte er. „Ich könnte das sogar als Zeichen der Zuneigung missdeuten.“
Sie riss die Hände fort und sah, dass er lächelte. Verwirrt nahm sie das Risiko auf sich, ihm direkt in die Augen zu sehen.
Trotz des Lächelns war sein Blick wachsam. Sie hatte das ungewohnte Gefühl, als sähe sie zum ersten Mal ein Mann wirklich an und versuchte herauszufinden, was in ihr vorging.
„Ich habe noch nie eine Frau gezwungen“, fuhr er fort. „Warum auch, schließlich beziehe ich die Hälfte meiner Lust aus ihrer Lust. Wenn sie sich seufzend an mich schmiegt und ihre Schenkel um mich legt …“
Schockiert, fasziniert und tödlich verlegen senkte Mélusine den Kopf und hielt sich die Ohren zu, ehe sie sich anders besann und ihm den Mund mit ihrer Hand verschloss. Sie spürte seine Lippen an ihrer Handfläche, und ein gänzlich unerwartetes Gefühl durchzuckte sie. „Schweigen Sie!“, verlangte sie heiser. Sie merkte, dass er lautlos lachte, und wandte sich brüsk von ihm ab.
„Ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, einen Liebhaber zu haben“, stellte er richtig. „Ich habe gefragt , ob Sie jemals einen hatten.“
Sie hatte seine frühere Frage ganz vergessen. Nach dem, was gerade zwischen ihnen vorgefallen war, fühlte sie sich nicht nur verwundbar, sondern nun auch noch eigenartig enttäuscht über seinen anhaltenden Mangel an Vertrauen. „Wie oft muss ich das noch sagen?“ Ihre Stimme wurde lauter, als Mélusine sich wieder zu ihm umdrehte. „Warum halten Männer eigentlich alle Frauen für Lügnerinnen, wenn sie …“
„Weil Ihr Bestreiten so vehement ist“, fiel er ihr ins Wort. „Seit unserer ersten Begegnung glauben Sie hartnäckig, die Duchesse sei meine Geliebte gewesen, obwohl ich Ihnen mehrfach sagte, dass das nicht wahr ist. Trotzdem bekomme ich keine Wutausbrüche wegen dieser falschen Unterstellung.“
„Weil es für Männer eine Frage des Stolzes ist, mit ihren Eroberungen zu prahlen. Und genau das haben Sie auch eben gerade getan.“
„Das stimmt nicht.“
„Sie haben geprahlt mit Ihren … Ihren Fähigkeiten als …“
„Ich habe Ihnen nur versichert, dass ich Ihnen nie wehtun würde.“
„Sie haben von der Lust gesprochen, die Sie Ihrer …“Vor Verlegenheit geriet sie ins Stocken. „Was in Wirklichkeit heißt, dass Sie mit sich selbst und Ihren Fähigkeiten, Vergnügen zu schenken, prahlen.“
„Ich schätze, das ist eine Art der Interpretation.“
„Was für eine andere könnte es denn geben? Und wie kann man sich solche Fähigkeiten aneignen, ohne ständig wieder neu zu verführen?“
„Mit meiner Frau.“
„Wie bitte?“ Sie starrte ihn völlig verwirrt an.
„Glauben Sie nicht, ein Mann könnte solche Fähigkeiten im Ehebett vervollkommnen?“
„Sie sind verheiratet?“, flüsterte sie. Diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht in Betracht gezogen, und aus unerfindlichen Gründen behagte ihr die Vorstellung nicht sonderlich.
Er zögerte und zuckte dann schicksalsergeben die Achseln. „Ich war es.“
„Was ist geschehen?“
„Sie starb an den Pocken“, erwiderte er und presste die Lippen fest aufeinander.
Mélusine sah ihn an. „Bestimmt haben Sie sehr um sie getrauert.“
„Ja.“
Sie wandte sich ab. Beschämt, weil sie nicht behaupten konnte, um Bertier zu trauern. Und eigenartig niedergeschlagen, weil er um seine Frau getrauert hatte und es vielleicht immer noch tat. „Das wäre dann alles für heute“, sagte sie schließlich. „Morgen werden Sie mich zum Hôtel de Gilocourt begleiten.“
„In Ihr früheres Zuhause?“ Sein Tonfall wurde schärfer. „Warum?“
„Es war Bertiers Haus“, verbesserte sie. „Nun gehört es seinem Bruder. Ich habe dort nur während meiner Ehe gewohnt. Ich muss mit Thérèse Petit sprechen …“
„Mit wem?“
„Der Haushälterin. Ich bin mir sicher, sie ist noch dort. Sie hat den Gilocourts gedient seit Séraphins Geburt.“
„Glauben Sie nicht, sie hätte es Ihnen schon damals erzählt,
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