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Im Dienste der Comtesse

Im Dienste der Comtesse

Titel: Im Dienste der Comtesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CLAIRE THORNTON
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Unterlippe. Schließlich merkte sie, wie er ihren Mund betrachtete. Sie stellte sich vor, dass er sie küsste. Fragte sich, wie das wohl sein würde. Schwankte.
    Das Stück Zeichenkohle zerbrach zwischen ihren Fingern – in der Stille klang das Knacken ungewöhnlich laut. Sie sah erstaunt auf ihre Hand hinab und wurde sich plötzlich wieder bewusst, wo sie überhaupt war. Um sich zu sammeln, atmete sie tief durch. Es war nicht das erste Mal, dass sie die Brust eines Mannes unbekleidet sah, und sie wusste auch, wie sie sich nackte Haut anfühlte. Obwohl schon Mitte vierzig, war Bertier immer noch in guter körperliche Verfassung gewesen. Sie hatte ihren Mann nur einige Male ohne Hemd betrachten können, aber sie hätte ihn niemals gebeten, für sie Modell zu sitzen. Unabhängig davon konnte er als ein kräftiger, starker Mann bezeichnet werden, obwohl er bereits einen leichten Bauchansatz vorwies. Sein Brusthaar war grau gewesen. Als sie es zum ersten Mal registrierte, erstaunte es sie, denn er hatte dunkle Perücken bevorzugt und das energische Auftreten eines jüngeren Mannes gehabt.
    Sie starrte auf ihr Zeichenbrett und versuchte, Bertiers Bild aus ihrem Kopf zu verbannen. Später würde sie über ihn, die Ehe mit ihm und seinen Tod nachdenken, aber nicht in den nächsten ein, zwei Stunden. Außerdem war es für ihren eigenen Seelenfrieden weitaus vorteilhafter, wenn sie in Pierre nur ein Mittel sah, ihr künstlerisches – und damit auch anatomisches – Verständnis zu verbessern.
    Nach einer Anregung suchend, sah sie sich im Atelier um. „Nehmen Sie sich den Besen dort und halten Sie ihn wie einen Dreizack“, forderte sie ihn auf.
    „Einen Dreizack?“
    „Oder wie einen Speer, das spielt keine Rolle. Ich werde Sie in vielen verschiedenen Posen skizzieren.“ Ihre Hände zitterten immer noch als Reaktion auf den Anblick seines bloßen Oberkörpers. Aber sie hoffte, dass sich das gab und sie sich wieder selbstsicherer fühlte, sobald sie mit dem Zeichnen anfing.
    Die erste halbe Stunde fand Pierce noch einigermaßen interessant, als Mélusine ihn aufforderte, immer wechselnde Stellungen einzunehmen. Danach ließ der Reiz nach, so zu tun, als sei der Besen alles Mögliche – etwa die mittelalterliche Lanze eines Ritters oder die Stangenwaffe einer Regimentsstandarte.
    „Ich schlage vor, ich lege mich jetzt hin und tue so, als ob ich schlafe“, verkündete er gereizt, als Mélusine eben ansetzen wollte, eine neue Haltung von ihm zu verlangen.
    „Sie können doch unmöglich müde sein“, protestierte sie.
    „Habe ich gesagt, ich sei müde? Das Ganze hier ist über alle Maßen langweilig , Madame.“
    „Nun, es tut mir leid, dass Sie sich langweilen, aber ich hätte auch noch Unangenehmeres von Ihnen verlangen können. Seien Sie froh, dass Sie nicht die Ställe ausmisten müssen.“
    „Hm.“ Er legte den Besen hin und setzte sich schwungvoll auf eine der soliden Werkbänke in ihrer Nähe. Mélusine hatte etwas Kohle auf ihrer Wange, und das kastanienrote Haar, das er für ihren Besuch im Hôtel de Gilocourt so sorgfältig hochgesteckt hatte, fiel ihr jetzt offen über die Schultern. Er befürchtete, dass das an seinen unzureichenden Fähigkeiten lag. Ohne Zuhilfenahme von Pomade und Puder, um ihre Locken zu bändigen, wollten sie sich einfach nicht so legen, wie er sich das dachte. „Ich miste zwar nicht übertrieben gern aus, aber wenigstens kann man nach einer gewissen Zeit sehen, was man geleistet hat“, bemerkte er.
    „Ich habe Ihnen nicht gesagt, dass Sie sich bewegen dürfen.“
    Er zog nur eine Augenbraue hoch und blieb sitzen, wo er war. Er fragte sich, was sie wohl als Nächstes tun würde. Jetzt war er ihr viel näher als vorhin, und da sie noch immer auf ihrem Hocker saß, musste sie zu ihm hochsehen, wenn sie ihm in die Augen blicken wollte. Er wusste bereits, dass sie diesen Zustand wahrscheinlich nicht sehr lange dulden würde.
    „Haben Sie sich bei der Duchesse auch so unverschämt verhalten?“, fragte Mélusine.
    „Die Duchesse hat mich nie aufgefordert, mein Hemd auszuziehen“, konterte er. „Sie müssen zugeben, Madame – wenn man einen Mann darum bittet, sich seiner Oberbekleidung zu entledigen, ermutigt ihn das, sich noch weitere Freiheiten herauszunehmen.“
    Sie stand so abrupt auf, dass der Hocker umkippte. Er lachte, doch schon im nächsten Augenblick schlug sie mit einem herumliegenden Strohhut auf ihn ein. „Hören Sie auf!“, rief sie. „Lachen Sie mich nicht aus!

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