Im Dienste der Comtesse
eingeheimst, aber er war sich sicher, dass Mélusine das hier nicht als Auftakt für ein amouröses Abenteuer betrachtete. Er war allerdings auch davon überzeugt, dass sie auf eine Art von ihm in den Bann gezogen war, die nichts mit ihrem Wunsch zu tun hatte, sich als Künstlerin zu verbessern. Würde sie diese Tatsache realisieren, würde sie wahrscheinlich selbst überrascht, ja, vielleicht sogar bestürzt über ihre Reaktion sein.
Eine teuflische Stimme in ihm flüsterte ihm zu, Bestätigung dafür zu suchen, ob seine Vermutung zutraf. Wie sie wohl reagieren würde, wenn er ein paar Schritte auf sie zuging? Oder sie womöglich sogar in seine Arme zog? Aber er hielt sich zurück. Stattdessen stemmte er die Hände in die Hüften, blieb entspannt stehen und entschied sich für eine andere Variante. „Sie dürfen mich gern berühren, wenn das hilfreich für Ihre anatomischen Studien ist“, bot er an.
Sie blinzelte und schien angesichts seiner Worte in die Wirklichkeit zurückzukehren. „Nun ja …“, begann sie nervös. „Nein. Das wird nicht nötig sein. Vielen Dank. Nehmen Sie noch die Perücke ab.“
„Ist das wirklich nötig?“ Zum ersten Mal geriet er ins Zögern. Die Lakaienperücke war das Letzte, was von seiner Verkleidung übrig war. Jemand, der ihn gut kannte, würde ihn auch mit ihr wiedererkennen. Aber für diejenigen, die weniger mit ihm vertraut waren, bedeutete sie zumindest eine gewisse Tarnung.
„Was haben Sie dagegen?“, fragte sie und ihre Augen funkelten verschmitzt. „Sind Sie etwa kahl?“
„Nein!“ Aus unerfindlichem Grund gekränkt, warf er die Perücke zu seinen Kleidungsstücken und fuhr sich mit den Händen durch sein Haar. Er merkte, dass ihr Blick noch interessierter wurde.
„Ich wusste gar nicht, dass Sie schwarzes Haar haben“, stellte sie zufrieden fest. „Schwarzes Haar, schwarze Augenbrauen, graue Augen. Ohne Hemd und Perücke sehen Sie viel beeindruckender aus. Drehen Sie sich langsam um.“
„Ich fühle mich wie ein Gaul auf dem Pferdemarkt“, teilte er ihr mit, gehorchte aber. Die Situation hätte demütigend, ja, sogar erniedrigend sein können, stattdessen belustigte sie ihn eher. Wenn er tatsächlich auf Mélusines Wohlwollen für eine dauerhafte Anstellung angewiesen wäre, hätte er vielleicht weniger tolerant auf ihre Launen reagiert. Außerdem hatte er das Bedürfnis, auf ihre Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Ihr Vater und sogar Daniel hatten sie verletzt, weil sie keinerlei Respekt vor Mélusines eigenen Wünschen zeigten. Es kostete Pierce daher keine Überwindung, sich von ihr in ihrem Atelier, ihrem stillen Zufluchtsort, herumkommandieren zu lassen.
Mélusine starrte Pierre an und war wie verzaubert von seiner maskulinen Schönheit. Er stand mitten im hellen Tageslicht, und sie konnte jede Erhöhung und jede Mulde seines Oberkörpers erkennen. Wie sie vermutet hatte, besaß er erfreulich breite Schultern im Verhältnis zu seinen Hüften, und seine Muskeln waren fest und gut ausgeprägt. Ohne Kleidung kam seine natürliche Anmut noch viel besser zur Geltung. Sie konnte deutlich die Bewegungen seiner Sehnen sehen, als er das Hemd und die Perücke zur Seite warf. Seine Haut war makellos, abgesehen von einer feinen Narbe an der Schulter. Er wirkte ausgeglichen, wobei seine gesamte Haltung von einem angeborenen Selbstbewusstsein zeugte. Ohne die Livree schien er viel eindrucksvoller zu sein, mit seiner Präsenz das ganze Atelier auszufüllen. Genau gesagt: Sein Anblick machte sie etwas atemlos.
Unwillkürlich streckten sich ihre Finger, als sie sich fragte, wie sich seine Haut wohl anfühlen mochte. Er hatte ihr angeboten, ihn anzufassen. Inzwischen wusste sie, dass er sie gern neckte, aber er hatte sich ihr nicht genähert – was sie sehr beruhigt hatte, so halb bekleidet wie er gerade war –, und er hatte sich nicht über ihre künstlerischen Ambitionen lustig gemacht.
Während sie ihn so betrachtete, spürte sie die wachsende angespannte Atmosphäre, die sich im Atelier breitmachte. Die Stille wurde langsam erdrückend. Ihr Herz schlug schneller, und sie starrte nach wie vor auf seine Brust. Am liebsten hätte sie woanders hingesehen, aber das wäre feige gewesen. Nervös hob sie den Blick zu seinem Gesicht. Seine Augen wirkten dunkler als sonst. In ihnen lag ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte, der sie aber zutiefst aufwühlte.
Ihr Mund fühlte sich ganz trocken an. Sie schluckte und biss sich vor Verlegenheit leicht auf die
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