Im Dienste der Comtesse
„Einen begüterten, aber jungen Mann mit glänzender Zukunft. Einen, der Ihnen ein angenehmes Leben bieten kann.“
„Ein angenehmes Leben“, wiederholte sie. „Ich weiß, Sie wollen nur das Beste für mich …“
„Seit jeher, Madame“, versicherte er, und seine unbedingte Loyalität erstaunte und rührte sie.
„Ich kann von hier noch nicht fortgehen“, sagte sie. „Ich will die Wahrheit herausfinden, Daniel. Und wie könnte ich mich als passende Ehefrau für einen wohlhabenden, angesehenen Mann eignen, wenn alle glauben, ich hätte eine lasterhafte Affäre während meiner ersten Ehe gehabt?“
Er legte die Stirn in Falten. „Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass Sie allein in Paris leben.“
„Niemand wird mir Beachtung schenken. Schon bevor ich von den Gerüchten erfuhr, hatte ich nicht vor, mich in die Gesellschaft zu begeben. Und es gibt immer wieder einen neuen Skandal, der früheres Getuschel überschattet.“
„Was wissen Sie über Dumont?“, wollte Daniel wissen. „Nehmen Sie sich vor ihm in Acht. Er könnte vorhaben, die Situation auszunutzen.“
„Inwiefern?“
„Eine reiche Witwe, die des Schutzes bedarf? Ein ehrgeiziger junger Mann mit hochfliegenden Plänen könnte sehr wohl vorhaben, durch Verführung eine bessere Position im Leben zu erreichen.“
„Sie haben mir geglaubt, dass ich bisher keinen Liebhaber hatte. Wie kommen Sie darauf, ich könnte mir jetzt einen nehmen?“ Mélusine war erzürnt.
„Weil Sie nun nicht mehr an ein Ehegelübde gebunden sind“, erwiderte er. „Und er ist jung, kräftig und nicht auf den Kopf gefallen. Sie wiederum sind …“
„Was bin ich?“, unterbrach sie ihn schroff. Schon jetzt fühlte sie sich von der Unterstellung gekränkt, nach einer Ehe mit einem Mann, der vom Alter her ihr Vater hätte sein können, wäre sie mehr als bereit, sich von einem jungen Mann verführen zu lassen.
„Einsam.“ Mit einem einzigen Wort ließ er ihren Ärger in sich zusammenfallen und ließ stattdessen ein weitaus schmerzvolleres Gefühl in ihr aufkommen. Dachte er wirklich, sie sehnte sich so verzweifelt nach Liebe und Zuwendung, dass sie auf jede geheuchelte Freundlichkeit hereinfallen würde? „Seien Sie einfach nur klug bei der Auswahl Ihrer Freunde, Madame“, fügte er hinzu und erhob sich.
Mélusine hätte am liebsten ausgerufen, dass sie selbstverständlich bedacht und umsichtig vorgehen würde, doch Daniels mangelndes Vertrauen schmerzte sie noch mehr als die Schmähungen ihres Vaters. Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie die Sprache wiederfand. „Was werden Sie Vater sagen?“, fragte sie schließlich.
„Ich werde meine Rückkehr noch ein wenig hinauszögern“, erklärte er. „Ich gebe ihm zu verstehen, Sie hätten vornehme Besucher gehabt. Er wird einsehen, dass ich Sie unter diesen Umständen nicht zwingen konnte, mit mir fortzugehen. Und wenn Sie noch einmal in Ruhe gründlicher über alles nachgedacht haben, werden Sie hoffentlich zu dem Schluss gelangen, dass eine Rückkehr nach Bordeaux für Sie das Beste ist.“
Nachdem Daniel gegangen war, blieb Mélusine eine Zeit lang nur reglos sitzen. Sie verharrte noch immer in dieser Haltung, mit im Schoß gefalteten Händen, als Pierce den Salon betrat. Ein paar Sekunden blickte sie ihn durchdringend an, dann sprang sie plötzlich auf.
„Kommen Sie mit“, befahl sie ihm.
Er folgte ihr und war nicht überrascht, als er merkte, dass sie ihn in ihr Atelier führte.
„Stellen Sie sich dorthin“, forderte sie ihn auf. Sie zeigte zum Fenster hin und zog sich die Handschuhe aus.
Er tat, wie ihm geheißen, und beobachtete, wie sie sich vor ein Zeichenbrett auf einem Hocker niederließ, auf dem mehrere Bögen Papier festgeklemmt waren.
„Jetzt bleiben Sie ein paar Minuten so stehen, danach nehmen Sie eine andere Position ein. Die ersten Male sage ich Ihnen noch, wann Sie sich bewegen sollen. Falls ich das vergesse, nehmen Sie von sich aus eine andere Stellung ein.“
„Warum?“, fragte er. Ihr schroffes Verhalten amüsierte ihn ein wenig, aber es rührte ihn auch. Nach dem Besuch ihres Vaters hatte sie wütend reagiert, aber seit Daniels Besuch lag ein verletzter, verlorener Ausdruck in ihren Augen. Pierce war sich ziemlich sicher, dass Daniel nur das Beste für Mélusine wünschte, aber was auch immer er ihr unter vier Augen gesagt haben mochte, es hatte sie verletzt und vielleicht sogar ihr Vertrauen erschüttert. Und jetzt, so glaubte Pierce, wollte sie ihm und sich selbst
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