Im Dienste der Comtesse
sie Angst, er könnte ihre Gedanken lesen. Sie errötete heftig und ihr war, als stünde ihr Körper in Flammen. Bestimmt konnte Pierre ihre Verlegenheit spüren, und einen Moment lang war ihre Kehle wie zugeschnürt, sodass sie keinen Ton herausbrachte. Doch dann straffte sie sich und sagte mühsam beherrscht: „Sie sollten eigentlich Anweisungen entgegennehmen, nicht sie erteilen.“
„Ein kluger Mensch – ganz gleich ob Mann oder Frau – weiß, wann er den Rat eines Menschen mit größerer Erfahrung einholen soll“, konterte er und nahm die Hände von ihren Schultern. Er schob eine Hand unter ihr Haar und fuhr fort, sie zu kämmen. Ab und zu streiften seine Finger ihren Nacken, und sie erschauerte. Ob er es wusste? Fühlte er es auch? Oder waren ihm diese zufälligen Berührungen völlig gleichgültig?
„Wenn der Polizeiinspektor tatsächlich bestochen wurde, die Unwahrheit über den Zustand der Leiche Ihres Mannes zu sagen, dann wird er das jetzt nicht einfach so zugeben“, fuhr Pierre fort. Er klang völlig normal, als hätte er nichts anderes im Sinn als diese Unterhaltung. Ganz offensichtlich empfand er gar nichts dabei, und es war unerlässlich, dass sie sich niemals anmerken ließ, welche Wirkung seine Berührungen auf sie hatten. „Mir fällt nur ein Grund ein, warum er vielleicht geneigt sein könnte, offen zu reden – wenn man ihn nämlich gebeten hat, die Geschichte mit den Straßenräubern zu verbreiten, um Ihre Gefühle nicht zu verletzen. Wenn das der Fall ist, und wenn der Inspektor merkt, dass die Ungewissheit über den Tod Ihres Mannes für Sie schmerzlicher ist als die wie auch immer geartete Wahrheit, dann wird er Ihre Fragen vielleicht beantworten.“
Weil sie sich nur halb auf die Unterhaltung konzentriert hatte, brauchte Mélusine eine Weile, um zu begreifen, was er da gesagt hatte. „Was könnte schmerzlicher sein, als mitgeteilt zu bekommen, dass der Ehemann von Straßenräubern überfallen worden ist?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Pierre?“ Als er nicht sofort antwortete, drehte sie sich um und legte die Hand auf seinen Arm.
„Es besteht ganz entfernt die Möglichkeit, dass Ihr Mann während … einer Ausschweifung ums Leben gekommen ist“, gab er widerstrebend zu bedenken.
„Wie …? Aber Séraphin sagte doch, er hätte keine Mätresse gehabt!“
„Wir müssen nicht zwangsläufig alles glauben, was Séraphin sagt“, gab Pierre trocken zurück. „Allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, dass es so gewesen ist. Wenn der Inspektor bestochen worden ist, ein Verbrechen zu vertuschen …“ Er legte die Stirn in Falten und begann, ihr Haar aufzustecken. „In dem Fall könnte es tatsächlich erforderlich werden, ihn Ihrerseits zu bestechen. Dabei dürfen Sie allerdings keinesfalls selbst in Erscheinung treten. Wenn es nötig wird, nehme ich mich der Sache an.“
Mélusine hielt den Atem an, als ihr die möglichen Konsequenzen ihres Treffens mit dem Polizeiinspektor bewusst wurden. „Haben Sie viel Erfahrung darin, die Polizei zu schmieren?“, fragte sie, obwohl sie das eigentlich nicht glaubte. Aber er hatte sie schließlich schon öfter überrascht.
„Nein, ich würde lieber zu anderen Mitteln greifen, um die Wahrheit herauszufinden“, erwiderte er. „Ich habe Freunde in Paris. Ich werde sie bitten, diskret ein paar Nachforschungen anzustellen.“
„Sie haben Freunde hier?“
„Sie klingen überrascht.“
„Nein. Ich weiß, Sie müssen Freunde haben. Es ist nur … Es ist eine ganz andere Welt.“ Sie versuchte sich vorzustellen, wie er wohl in Gesellschaft seiner Freunde war. Wie würde er sich da verhalten? Würde er immer noch derselbe sein oder ein Fremder? Waren seine Freunde Bedienstete, Händler – oder gar Soldaten? „Haben Sie je daran gedacht, Soldat zu werden?“ Sie konnte ihn durchaus in einer Stellung sehen, die ihm mehr körperliche Kraft abverlangte als die des Dieners. Außerdem hatte er die natürliche Neigung, Befehle zu erteilen – obwohl einfache Soldaten eher Befehlen gehorchten, als solche auszugeben.
„Ich habe ein paar Jahre auf See verbracht.“
„Auf einem Handelsschiff?“ Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Welche Routen sind Sie gefahren?“
Er sah sie unwillig an. „Sie bringen die Frisur in Unordnung, Madame. Bitte halten Sie still, bis ich fertig bin.“
Sie ließ sich nicht von seinem strengen Tonfall täuschen, denn sie sah das belustigte Aufblitzen seiner Augen. „Auf was für einem Schiff haben Sie
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