Im Dienste der Comtesse
„Es war ein … glücklicher Zufall für mich, dass Sie gerade nach einer Anstellung suchten, als ich nach Paris zurückkam.“
Pierres Lächeln wirkte etwas schief, vielleicht, weil er immer noch fest seine Kiefer aufeinandergepresst hielt. Er hatte seine Wut jetzt wieder gut im Griff, aber Mélusine spürte sie immer noch unter der Oberfläche brodeln. Sie trat einen Schritt zurück und suchte nach Worten, die die Spannung zwischen ihnen abbauen konnten. Da ihr spontan nichts einfiel, wendete sie sich wieder dem Geheimnis um Bertiers Mätresse zu.
„Was ist, wenn Bertiers plötzliche schlechte Laune mit der Trennung von seiner Mätresse zu tun hatte?“, rief sie plötzlich aus. „Das würde doch einen Sinn ergeben, nicht wahr? Ich kann mir gut vorstellen, dass er sich mit dem Mann duelliert hat, der sie ihm weggenommen hat.“ Sie war ganz aufgeregt, dass sie der Lösung des Rätsels um seinen Tod möglicherweise näher gekommen war.
„Das wäre eine Möglichkeit“, räumte Pierre ein. „Trotzdem gibt es keine stichhaltigen Gründe, warum er nicht von Straßenräubern überfallen worden sein soll, so wie man es Ihnen ursprünglich mitgeteilt hat.“
„Ich möchte es aber genau wissen“, beharrte Mélusine. „Ge rüchte nehmen irgendwo ihren Anfang, ganz gleich, was aus ihnen später gemacht wird. Ich weiß, er hat sich nicht mit meinem Liebhaber duelliert, weil ich keinen Liebhaber habe. Aber er könnte sich mit dem Geliebten seiner Mätresse ihretwegen duelliert haben. Das würde ich ihm zutrauen.“
„Spielt das eine Rolle?“, gab Pierre zu bedenken. „Ihr Schwager hat Ihnen versichert, er glaube, dass Sie Ihrem Mann treu waren. Jedermann in Paris interessiert sich zurzeit mehr für die Neuigkeiten von den Generalständen als für private Skandale. In ein paar Monaten wird sich niemand mehr an dieses Gerücht erinnern.“
„Ich werde mich daran erinnern“, widersprach sie. „Und ich will die Wahrheit herausfinden. Vielleicht bin ich das auch Bertier schuldig“, fügte sie leise hinzu.
„Verdient er denn so viel Rücksichtnahme?“, fragte Pierre . „Er hat Sie nicht gut behandelt.“
„Nicht zum Schluss, das stimmt“, konstatierte sie . „Es gab Zeiten, da wollte ich ihn niemals wiedersehen. Doch er hat mir dieses Haus und noch andere hinterlassen . Er hat dafür gesorgt, dass meine Angelegenheiten von Monsieur Barrière geregelt werden, nicht von meinem Vater. Ohne sein Vermächtnis hätte ich nie nach meinen Wünschen leben können. Ich glaube, dafür bin ich ihm etwas schuldig. Morgen gehen wir zur Polizei“, beendete sie ihre Ausführungen, und ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
7. KAPITEL
Samstagmorgen, 11. Juli 1789
„Was versprechen Sie sich davon, mit dem Polizeiinspektor zu sprechen?“, fragte Pierre, während er Mélusines Haar kämmte.
„Die Wahrheit …“ Sie verstummte, als sie seine skeptische Miene im Spiegel sah. „Sie glauben, er wird jetzt keinen Grund haben, mir die Wahrheit zu sagen, wenn er damals bestochen worden ist, über den Zustand der Leiche zu lügen.“
„Genau davon gehe ich aus, Madame.“
„Ich könnte ihm noch mehr Geld anbieten …“
„Auf gar keinen Fall!“, unterbrach er sie heftig und legte ihr die Hände auf die Schultern, als wollte er seinem Einwand mehr Gewicht verleihen. „Sie dürfen ihm auf gar keinen Fall Geld anbieten, Madame.“
Seine Berührung erregte sie unwillkürlich. Sofort fühlte sie sich zurückversetzt in ihr Atelier, als sie zwischen seinen Knien gestanden hatte. Sie war sich jetzt nahezu sicher, dass er sie damals hatte küssen wollen. Einen Großteil der Nacht hatte sie sich jede Sekunde dieser Szene wieder in Erinnerung gerufen – und sich gefragt, ob er sie tatsächlich jemals küssen würde . Sie war sogar aus ihrem Schlafzimmer ins Atelier geschlichen und hatte ein paar der Zeichnungen von ihm hervorgeholt, die sie dann lange bei Kerzenschein betrachtete, ehe sie sie auf dem Boden einer Truhe vor den neugierigen Blicken ihrer Zofe versteckte. Sie hatte mit den Fingern ihre Lippen berührt und sich gefragt, wie sich sein Mund wohl anfühlen mochte. Natürlich hätte sie nicht auf diese Weise über ihren Diener nachdenken dürfen, aber Pierre unterschied sich von den üblichen Bediensteten. Sein Händedruck auf ihren Schultern war fest und beinahe gebieterisch; er überschritt eindeutig die Grenzen zwischen Herrin und Untergebenem.
Er blickte sie immer noch im Spiegel an, und plötzlich hatte
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