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Im Dienste der Comtesse

Im Dienste der Comtesse

Titel: Im Dienste der Comtesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CLAIRE THORNTON
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kurz darauf hörte sie Musketenschüsse aus dieser Richtung. „Paris befindet sich im Krieg mit sich selbst“, flüsterte sie entsetzt.
    „Hm.“ Er schlang von hinten die Arme um sie und drückte sie so fest an sich, dass sie seinen raschen Herzschlag spüren konnte. Sie hatte sich danach gesehnt, so von ihm gehalten zu werden, aber sie hätte nie damit gerechnet, dass es unter solchen Umständen geschehen würde. Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass er gesagt hatte, er hätte den Zorn des Pöbels nicht auf sich ziehen wollen, und sie drehte sich halb zu ihm um.
    „Hat man Ihnen etwas angetan?“
    „Nein. Ich hatte nur Angst, der Pöbel könnte versuchen, das Haus zu stürmen, ehe ich zurück war.“ Einen kurzen Moment lang drückte er sie womöglich noch fester an sich, dann ließ er sie los.
    Ein eiskalter Schauer überlief sie. „Und? Hat er es versucht?“ Bis zu diesem Augenblick hatte sie diese Möglichkeit noch gar nicht richtig in Betracht gezogen.
    „Paul sagt nein. Die Türen sind jetzt verriegelt; doch ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Menge den Versuch unternimmt, hier einzudringen. Die Leute wollen Waffen, Munition und Schießpulver. Sie werden dort hingehen, wo sie das zu finden glauben.“
    „Aber was ist denn eigentlich geschehen? Warum sind sie plötzlich so wütend?“
    „Der König hat letzte Nacht Jacques Necker entlassen“, berichtete Pierre und zog Mélusine zu einem Stuhl weit weg vom Fenster. „Die Nachricht erreichte heute das Palais Royal, als ich gerade da war, und seitdem nehmen die Tumulte ständig zu. Die Leute hatten darauf vertraut, dass der Finanzminister die Krise beenden würde. Sie halten ihn für einen aufrechten Mann, der sich für ihre Interessen einsetzt. Der Preis für Brot ist hoch, die Leute haben Hunger und können ihre Mieten nicht mehr bezahlen. Sie hatten ihre ganze Hoffnung auf Necker gesetzt – und nun hat der König ihn verbannt.“
    „Vater war nicht sonderlich beeindruckt von Necker“, meinte Mélusine. Sie setzte sich und war froh, dass Pierre einen zweiten Stuhl dicht neben ihren rückte. Sie wünschte, er hielte sie noch immer in den Armen, denn sie hatte sich dort seltsam sicher gefühlt, in einer plötzlich so unsicher gewordenen Welt. „Es gibt vieles, was Vater tut oder sagt, dem ich nicht zustimme, aber an seinem geschäftlichen Spürsinn habe ich nie gezweifelt.“
    „Zu diesem Zeitpunkt kommt es nicht mehr darauf an, ob Necker Frankreich tatsächlich aus der Finanzkrise führen kann , sondern vielmehr, dass das Volk daran glaubt , er könne es“, erklärte Pierre. „Die meisten befürchten, dies könnte der erste Schritt dazu sein, dass der König die in Paris stationierten Soldaten benutzt, um auf das Volk einzuschlagen, bis es sich ergibt. Es geht das Gerücht um, dass die Kanonen der Bastille heute auf die Stadt feuern werden.“
    „Das wäre doch Wahnsinn! Warum sollte er seine eigenen Untertanen angreifen?“
    „Um sie zum Gehorsam zu zwingen.“ Pierre lächelte bitter. „Gehorsam ist die Tugend, die viele Menschen am meisten an ihren Untergebenen schätzen.“
    „Aber ich halte ihn für einen freundlichen Mann“, protestierte Mélusine. „Sicher, ich bin ihm nur wenige Male begegnet, und er ist keinesfalls ein unkomplizierter Gesprächspartner. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass er trotz seiner schroffen und nicht sehr redegewandten Art den Menschen recht wohlgesinnt ist.“
    „Die Frage ist: War es seine Entscheidung oder vielmehr die seiner Berater?“, gab Pierre zu bedenken. „Das Volk hasst die Königin, und wenn es glaubt, dass sie hinter Neckers Entlassung steckt, wird das seinen Hass auf die Krone nur noch weiter schüren.“
    „Aber gehören Sie – wir – nicht auch zum Volk?“ Mélusine war leicht verwirrt. „Sie hören sich so an, als hielten Sie sich irgendwie nicht zugehörig zu dem Volk, von dem Sie sprechen.“
    Er sah sie eine Weile an, dann lächelte er achselzuckend. „Sie haben eine scharfe Beobachtungsgabe, Madame. Ich bin nicht in Paris geboren und habe so lange Zeit im Ausland verbracht, dass ich mich manchmal tatsächlich wie ein Außenseiter fühle. Manche Männer werden angetrieben von abstrakten Idealen. Saint-André ist vielleicht so einer, und der Mann, der vor einer Stunde im Palais Royal auf einem Tisch stehend eine Brandrede hielt, ebenfalls. Er forderte uns alle auf, etwas Grünes zu tragen, als Symbol für die Hoffnung und zur Unterstützung des Dritten Standes. Die Menge

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