Im Dienste der Comtesse
Mélusine spüren, dass sich etwas an seiner Haltung änderte.
Kirchenglocken läuteten.
Erst waren es nur wenige, aber schon nach kurzer Zeit schien es, als läutete jede Glocke in Paris. Alarmglocken.
„Mein Gott“, flüsterte Mélusine.
Pierre war bereits am Fenster, als sie sich neben ihn stellte. Unten auf dem Platz war nur sehr wenig zu sehen. Mélusine zuckte zusammen, als ein Kanonenschuss ertönte, lauter noch als alle Glocken. Sie spürte, wie das Haus, die Fensterscheibe, ja, ihr ganzer Körper davon vibrierte. Sie bekam eine Gänsehaut. Immer wieder wurde eine Kanone abgefeuert, doch dann vernahm sie neben diesem Donner und dem unentwegten Glockenläuten noch ein weiteres Geräusch, genauso beherrschend, aber schneller.
„Das sind Trommler“, murmelte Pierre, und im selben Moment sah sie auch schon zwei Trommler, die, von mehreren Männern flankiert, langsam über den nachtschwarzen Platz schritten.
„Bleiben Sie hier“, sagte Pierre, und dann war er verschwunden.
„Warten Sie!“ Sie streckte die Hand aus, um ihn zurückzuhalten, aber es war schon zu spät. Mélusine nagte an ihrer Unterlippe. Sie musste darauf vertrauen, dass er auf sich aufpasste.
Sie wusste nicht, ob sie an der Tür auf seine Rückkehr warten oder am Fenster bleiben sollte, um zu beobachten, ob er auf dem Platz erscheinen würde. Er hatte zwar nichts davon gesagt, aber sie war überzeugt davon, dass er das Haus verlassen wollte.
Ihr war schwindelig. Ihr war klar, was die Alarmglocken bedeuteten. Gefahr. Eine Warnung. Aber was genau bedeuteten sie in dieser Nacht, nachdem es zu Ausschreitungen, Plünderungen und dem Vernehmen nach sogar zu einer Schlacht im Zentrum von Paris gekommen war?
Sie ging nach unten ins Erdgeschoss. In der Eingangshalle brannte eine schwache Laterne. Selbst in dem dämmerigen Licht sah Paul sehr blass aus. „Er ist hinausgegangen, Madame. Ich konnte ihn nicht aufhalten.“
„Ich glaube, niemand kann ihn aufhalten, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat“, beruhigte sie ihn. Sie setzte sich auf die Treppe und hielt die Hände auf den Knien gefaltet, während sie auf Pierres Rückkehr wartete. Die Zofe und die Haushälterin gesellten sich zu ihnen.
„Was ist passiert?“, wollte Suzanne wissen. „Ist der König umgebracht worden?“
„Ich … denke nicht“, erwiderte sie bestürzt. „Er ist in Versailles. Der Aufruhr begann heute Nachmittag, weil Monsieur Necker entlassen wurde.“
„Die Königin ist an allem schuld“, behauptete Suzanne. „Sie ist nicht besser als eine ganz gewöhnliche Dirne. All die unzüchtigen Dinge, die sie mit diesen losen Höflingen angestellt hat! Als ich gestern auf dem Markt war, hat der Wind eines dieser Pamphlete in meinen Korb geweht. Darauf war die Königin abgebildet – in allen möglichen Positionen! Ich wusste gar nicht, wo ich hinsehen sollte.“
„Sie war noch sehr jung, als sie aus Österreich hier ankam“, bemerkte Paul.
„Genau! Und im Herzen ist sie immer noch Österreicherin. Diese ausländische Dir…“
„Menschen verbreiten Lügen über andere Menschen“, unterbrach Mélusine sie ruhig. „Solange wir nicht mit dem Betroffenen gesprochen haben, können wir nicht mit Sicherheit sagen, was wahr ist und was nicht. Ich stimme zu, nicht alles, was sie getan hat, war besonders klug. Aber wir dürfen ihr nicht fraglos unterstellen, eine Dirne zu sein, nur weil ihre Feinde sie so nennen.“
„Alle feinen Damen sind Dirnen. Nur sind manche diskreter als die anderen.“
Mélusine starrte auf den Boden. War es ungerecht, Suzanne zu entlassen, weil diese, verschreckt durch die Alarmglocken, ihre Meinung über die preisgegeben hatte, denen sie diente?
Erleichtert sprang sie auf, als sie draußen Pierres Stimme hörte. Paul öffnete die Tür nur so weit, dass Pierre hindurchschlüpfen konnte. Mélusine hoffte, dass diese Vorsichtsmaßnahme nicht tatsächlich nötig war.
„Am frühen Abend fand eine Versammlung im Rathaus statt“, berichtete Pierre. „Die Wahlmänner des Dritten Standes haben beschlossen, bei Morgengrauen Notsitzungen in den Hauptquartieren jedes einzelnen Pariser Stadtviertels abzuhalten. Deswegen der ganze Lärm – sie werden eine Bürgermiliz aufstellen. Jedes Viertel muss achthundert Freiwillige aufbieten.“
„Achthundert!“, rief Mélusine.
„Ich werde mich nicht als Freiwilliger melden“, sagte Paul sofort. „Mein Platz ist hier, bei Madame.“
„Auf wessen Seite werden die Freiwilligen
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