Im Dienste der Comtesse
wenigstens schien er nicht verstimmt zu sein.
Es fiel ihr unsäglich schwer, ein Wort über die Lippen zu bekommen, aber nun, da sie einmal angefangen hatte, musste sie auch fortfahren. „Es wäre hilfreich … weniger verwirrend … für mich, das zu wissen“, sagte sie gequält.
„Madame …“ Er hielt inne. „Sie sind eine sehr tapfere Frau. Und sehr ehrlich.“
Die Anspannung schnürte ihr fast die Kehle zu. Er hatte ihr wohl gerade ein Kompliment gemacht, ihre Frage jedoch nicht beantwortet. Je länger er damit wartete, desto sicherer wurde sie, dass sie einen schrecklich peinlichen Fehler gemacht hatte. „Es tut mir leid, Sie in Verlegenheit gebracht zu haben“, flüsterte sie. Sie wünschte, der Erdboden würde sich auftun und sie verschlingen.
Stattdessen nahm er ihre Hand.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, um danach nur noch schneller zu schlagen. Einen Moment lang hielt er ihre Hand, dann hob er sie und sie spürte, wie seine Lippen ihre Finger streiften.
Er hatte sie geküsst! Und er küsste sie noch immer. Mélusine glaubte – ihr stockte der Atem –, ganz kurz seine Zunge auf ihrer Hand zu spüren.
Sie schloss die Augen. Ihr war, als könnte sie diese winzige Liebkosung bis in den letzten Winkel ihres Körpers wahrnehmen. Süße Glut durchzuckte sie, und in ihr breitete sich wieder das gleiche, beinahe schmerzhafte Sehnen aus wie in der vergangenen Nacht, als sie von ihm geträumt hatte.
„Madame“, sagte er mit so leiser Stimme, dass auch sie fast wie ein Streicheln klang. „Sie wissen, dass es eine Frage des Prinzips ist. Und der Ehre – Ihrer und meiner.“ Er küsste ihre Hand ein letztes Mal und legte sie ihr sanft wieder in den Schoß zurück. „Lassen Sie uns darüber nicht jetzt reden.“
„Heißt das, wir werden noch einmal darüber sprechen?“, fragte sie kühn.
Er lachte leise. „Madame, in den wenigen Tagen meiner Bekanntschaft mit Ihnen habe ich bereits gelernt, dass Sie niemals von Ihrem Pfad abweichen. Ich bin mir sicher, dass wir noch einmal ein Wort darüber verlieren werden.“
Mélusine betrachtete seine schemenhaften Umrisse. Vielleicht brauchte auch er Zeit, sich an die … Freundschaft zu gewöhnen, die sich zwischen ihnen entwickelte. Am Totenbett seiner ersten Frau hatte er der Ehe abgeschworen. Bestimmt brauchte er eine Weile des Nachdenkens, ob er damit möglicherweise einen Fehler gemacht hatte. Und sie selbst musste darüber nachdenken, ob sie immer noch ein vollkommen tugendhaftes Leben anstrebte. War sie wirklich bereit, das Bett mit einem Mann zu teilen, mit dem sie nicht verheiratet war?
„Erzählen Sie mir von Ihrem Vater“, bat sie und war plötzlich brennend daran interessiert, so viel wie möglich über Pierre zu erfahren.
Er schwieg.
„Wann ist er gestorben?“
„Als ich siebzehn war.“
„Und was geschah danach?“
„Ich habe mich an Freibeuter verkauft, um die Schulden meines Vaters zu bezahlen und meine Familie vor der Armut zu bewahren. Ist es das, was Sie wissen wollten?“ Pierre klang verärgert – und Mélusine war sich nicht ganz sicher, ob er sich über sie oder sich selbst ärgerte. Sie wünschte, sie hätte seinen Gesichtsausdruck sehen können.
„Sie haben sich verkauft ?“
„Mehr oder weniger. Ich bot meine unbezahlte Arbeit an, unter der Bedingung, dass er die Schulden meines Vaters beglich.“
„Und das hat er wirklich getan?“ Mélusine starrte Pierre durch die Dunkelheit an. „Ich weiß nicht, was mich mehr beeindruckt – Ihre Kühnheit oder seine. Was hat er von Ihnen verlangt?“, fragte sie plötzlich misstrauisch. „War es sehr unangenehm und gefährlich?“
„Nennen Sie es lieber meine grenzenlose Arroganz und Frechheit“, erwiderte er, und sie hörte den humorvollen Unterton heraus. „Natürlich habe ich das damals nicht so gesehen. Ich war derart von mir selbst überzeugt, dass ich nie danach gefragt habe, ob meine Arbeit für jemanden überhaupt nützlich, geschweige denn eine Bezahlung wert sein könnte. Nein, er hat nichts wirklich Unangenehmes von mir verlangt. Er war – und ist – ein Ehrenmann. Im Nachhinein muss ich sagen, dass er mich besser behandelt hat, als ich es verdiente.“
„Er ehrte Ihre Motive“, meinte Mélusine und lächelte gerührt. „Ihre Mutter und Ihre Schwester müssen sehr stolz auf Sie sein.“
Pierre hob die Hände. „Genug!“, rief er aus. „Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Sagen Sie mir …“ Er verstummte. Selbst im Dunklen konnte
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