Im Dienste der Comtesse
erinnert an eine Herde Rinder, die panikerfüllt durch enge Straßen zum Markt getrieben wurde. Nicht selten brach so eine Herde aus und trampelte bei ihrer Flucht alles nieder, was sich ihr in den Weg stellte. Er war froh, dass keiner der ihn Umgebenden Hörner hatte. Aber wenn sie nur einen Moment lang geglaubt hätten, er stünde nicht auf ihrer Seite, wären sie noch weitaus gefährlicher geworden als eine durchgehende Viehherde.
Er hielt mit ihnen Schritt, wachsam, vorsichtig und immer darauf bedacht, nichts zu tun, das ihre Aufmerksamkeit auf ihn lenken konnte. Nach einer Weile erreichten sie den Paradeplatz vor dem Invalidendom, wo bereits Tausende anderer Männer zusammengetroffen waren. Forderungen nach Waffen waren nicht zu hören.
Über ihren Köpfen, unter dem bleiernen Himmel, schimmerte matt die vergoldete Kuppel des Doms. Hinter ihnen drängten immer mehr Menschen auf den Paradeplatz und schoben die weiter nach vorn, die bereits dort waren.
„In den Kellergewölben! Die Musketen sind in den Kellergewölben!“
Wieder ein Schub nach vorn. Pierces einzige Sorge war mittlerweile, sich auf den Beinen zu halten. Schon kamen die Ersten aus den Kellern zurück, die Arme voller Musketen.
„Hier, mein Freund!“ Jemand drückte ihm eine Muskete in die Hand.
„Gibt es auch Kugeln oder Schießpulver?“
Schon ging ein empörter Aufschrei durch die Menge. Die Männer hatten zwar Musketen und Kanonen gefunden, aber keine Munition.
„Nägel! Ich habe ein paar Nägel“, sagte ein Mann neben Pierce. „Die könnte man vielleicht an Stelle von Kugeln nehmen.“
„Dann brauchen wir aber immer noch Schießpulver“, wandte ein anderer ein.
„Das haben sie zur Bastille gebracht.“
„Zur Bastille.“
„ Zur Bastille!“
Die Menge schlug eine neue Richtung ein und riss Pierce mit sich. Um ihn herum waren der Mann mit den Nägeln, der andere, der das Schießpulver erwähnt hatte, und noch einige weitere.
„Ich bin Samuel Brissot, Schuster“, stellte sich der mit den Nägeln vor. „Und wer bist du?“
„Pierre Duval, Schneider“, antwortete Pierce.
„Du kannst ein paar von meinen Nägeln haben – mein Gott, sieh doch nur!“
Ein paar von Pierces neuen Gefährten kannten sich in dieser Gegend offenbar sehr gut aus. Anstatt die Rue Saint-Antoine zu nehmen, hatten sie sich für eine kleine Seitenstraße entschieden, sodass plötzlich die hohen Mauern der Gefängnisfestung vor ihnen aufragten. Samuel starrte entsetzt hinauf in die nach unten gerichteten Mündungen der Kanonen auf den Türmen und Umfriedungen.
„Es stimmt also! Sie werden auf uns schießen! Sie werden Paris unter Beschuss nehmen, bis nichts mehr davon übrig ist!“
„Nein, das werden sie nicht tun“, meinte ein anderer Mann zuversichtlich. „Die Soldaten in der Bastille werden nicht auf uns schießen, sie sind auf unserer Seite.“
„Das Schießpulver ist in den Kellern!“
„Ob sie es uns aushändigen?“
„Wir wollen die Bastille! Truppen hinaus!“
„Was passiert jetzt?“
Die Menge hinter ihnen drängte weiter nach vorn. Pierce und die Männer um ihn herum wurden vorwärtsgeschoben, in den ersten Innenhof hinein. Er war Pierce schmal vorgekommen, als er ihn mit Mélusine durchschritten und sie staunend die Läden auf der rechten Seite wahrgenommen hatte. Jetzt, inmitten all der Menschenmassen, fühlte sich Pierce mehr als bedrängt. Die Zugbrücke vor ihm war hochgezogen, man kam nicht weiter. Pierce hatte nicht vor, sich von der nachrückenden Menge in den Burggraben stoßen zu lassen, und er packte den kleinen Schuster an der Schulter, um ihn ebenfalls zurückzuhalten.
„Was soll das? Wir müssen weiter!“, rief Samuel verärgert.
„Es geht nicht weiter, da vorn ist schon der Burggraben!“, rief Pierce zurück.
Empörte und verängstigte Stimmen wurden laut.
„Sie ziehen die Kanonen ein! Sie wollen sie laden!“
„Sie haben unsere Abgesandten umgebracht, jetzt wollen sie auch uns abschlachten!“
Pierce sah zu den Türmen hinauf, dann zurück in die Richtung, aus der die Leute kamen. Es gab keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Immer mehr Menschen rückten nach. Er konnte nur noch darum kämpfen, sich auf den Beinen zu halten und zu verhindern, dass Samuel immer weiter nach vorn geschoben wurde. Sein Herz klopfte. Er hatte sich schon oft in gefährlichen Situationen befunden, aber noch nie hatte er sich so machtlos gefühlt. Als er sich auf der Suche nach einem Fluchtweg noch einmal umsah,
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