Im Dienste Der Koenigin
sinken und blickte Marie fassungslos in die Augen.
»Schwester, du sitzt auf einem Pulverfass! Wenn der Inhalt dieses Dokuments jemals an die Öffentlichkeit käme, wärest du deines Lebens nicht mehr sicher.«
»Wieso?« Marie war sichtlich irritiert. »Ich denke, dass ich damit ein unfehlbares Druckmittel in der Hand habe, um das Wohlwollen Annas wiederzuerlangen - und es mir auf ewig zu erhalten.«
»Das sehe ich aber ganz anders, ma Chère!«, rief die immer noch totenbleiche Céleste temperamentvoll aus. »Du weißt, wie sehr der König seine Mutter liebt. Er würde niemals dulden, dass nur der Schatten eines derart hässlichen Verdachts auf sie fällt.
Ich garantiere dir, Seine Majestät würde dich stillschweigend verschwinden lassen - und zwar für immer. Ganz abgesehen davon, dass du dich damit erdreisten würdest, Anna zu erpressen.«
Im ersten Augenblick erschrak Marie sehr über die Argumentation ihrer Schwester; aber so leicht war sie nicht zu überzeugen. Erst als die Gräfin mit höchster Intensität auf sie einredete und ihr mit aller zu Gebote stehenden Überzeugungskraft die Idee auszureden versuchte, von dem Dokument
jemals Gebrauch zu machen, wurde die Chevreuse sehr nachdenklich.
Sie nahm der jüngeren Schwester die Papiere aus der Hand und legte sie wieder in die rote Mappe.
»Ich rate dir, Marie, vernichte diese Dokumente einfach«, bat Céleste mit großer Eindringlichkeit. Diese versprach es schließlich - aber mit deutlichem Widerstreben.
»Es ist ja keineswegs so, dass ich glaube, was der Verfasser hier Ungeheuerliches behauptet, Céleste. Im Gegenteil! Für mich ist das purer Blödsinn und eine bodenlose Gemeinheit dazu. Hier wird versucht, die Ehre der Königin auf das Gröbste zu verletzen. Es kann überhaupt nicht möglich sein!«
Denn der Inhalt war in der Tat so unglaublich, dass er sogar das Vorstellungsvermögen der an Klatsch und Intrigen gewöhnten Marie bei weitem überstieg …
KAPITEL 88
AUF DER ÎLE Sainte-Marguerite war ein ganz besonderer Häftling - seit seinen frühen Jugendtagen schon - verwahrt worden. Vor einigen Jahren nun hatte man diesen Mann nach Paris, in die Bastille, verlegt. Ehe dies aber geschah, hatte sich, wie das Dokument behauptete, der Justizminister Louvois persönlich sehr lange mit diesem Gefangenen unterhalten. Vom Inhalt dieses Gesprächs drang jedoch kein Wort nach außen.
In der Bastille erfuhr der Gefangene nun eine merkwürdige
und ganz ungewöhnliche Sonderbehandlung. Er bekam das beste Essen und wurde überdies vom Gefängnisdirektor persönlich bedient und betreut.
Nach den Angaben seiner Mitgefangenen war der noch junge Mann überdurchschnittlich groß, sehr muskulös und schlank. Übereinstimmend waren alle von seinem auffallend goldenen Haar entzückt, das er als einziger Inhaftierter über Schulterlänge tragen durfte.
Das Merkwürdigste an ihm jedoch war, dass er, sobald er seine Zelle verließ, stets eine eiserne Maske vor dem Gesicht trug, welche nur Löcher für die Augen und Aussparungen für Nase und Mund aufwies. Auch die Männer, die ihn versorgten, bekamen ihn niemals ohne Gesichtsschutz zu sehen.
Seine Identität sowie die Dauer und vor allem der Grund seiner Inhaftierung waren und blieben ein Staatsgeheimnis. Nur einmal war es einem Wärter gelungen, ihn ohne Maske zu sehen.
Und dieser Wachmann hatte - angeblich - einer »sehr hohen Persönlichkeit« unter Eid geschworen, der Gefangene habe wie eine ältere Ausgabe König Ludwigs XIV. ausgesehen …
Demnach sprach alles dafür, dass der »Mann mit der Eisernen Maske« ein Stiefbruder des jetzigen Königs war, ein weiterer Sohn Königin Annas, seinerzeit im Ehebruch gezeugt mit Lord Buckingham.
Das Papier behauptete, dass von König Ludwig selbst die Anweisung gegeben worden war, diesen Gefangenen von allen Gesprächen mit dem Wachpersonal und mit anderen Häftlingen unter allen Umständen abzuhalten. Sollte der Mann diese Anordnung missachten und von sich aus eine Unterhaltung mit den genannten Personen beginnen, sollte er sofort erdrosselt werden.
Céleste lief beim Lesen der Papiere ein eiskalter Schauder über den Rücken.
Konnte es denn wahr sein, dass man so grausam war und einen nahen Verwandten des Königs - seinen Halbbruder - sein Leben lang unschuldig einsperrte? Entschieden schüttelte sie den Kopf. Marie hingegen sah das realistischer.
»Selbstverständlich halte ich das für möglich! Bedenke doch, meine Liebe, welch ein Skandal: Die fromme,
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