Im Dunkel der Nacht (German Edition)
Wohnung zu kommen, sich in ihr Bett zu verkriechen und bis zur nächsten Schicht dort zu bleiben. Es hatte in letzter Zeit einfach zuviel emotionale Aufregung gegeben.
Aber auch heute war ein Ende des Dramas nicht in Sicht. Sie würde nach ihrem Vater sehen müssen. Vielleicht war er betrunken genug gewesen, um zu vergessen, was letzte Nacht geschehen war. Er hatte nur selten vollständige Aussetzer, doch die Details waren oft verschwommen genug, damit sie Veronica zu einer angenehmeren Wahrheit formen konnte.
Es waren keine Lügen. Nicht wirklich. Vielmehr entsprach es einer kreativen Neugestaltung ihrer Lebensumstände. Und diese mochte sie weich und beschaulich. Sie handelte daher gar nicht im Interesse ihres Vaters, sondern in ihrem eigenen.
Der einzige Grund, warum sie ihn nicht völlig aus ihrem Leben verbannte, waren die Skrupel davor, wie eine Tochter dazustehen, die sich nicht um ihre Eltern kümmerte.
Sie setzte sich hinters Steuer ihres Wagens und sah auf die Uhr. Dad würde bereits wach sein. Sie wählte seine Nummer auf dem Handy, doch nach fünf Freizeichen schaltete sich die Mailbox ein.
Sie legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. So viel zum Versuch, mit einem schnellen Anruf davonzukommen.
Sie seufzte und ließ den Motor an. Sie würde sich nur nach ihm umsehen. Nach zehn Minuten könnte sie wieder gehen. Wenigstens einmal würde er sich das Frühstück selbst machen und den Müll hinausbringen können.
Sie schaltete die Nachrichten ein, während sie fuhr, aber es war zu deprimierend. Selbstmordattentate. Flutkatastrophen. Ölseuchen. Sie probierte die Musiksender durch, doch es entsprach nichts ihrem Geschmack. Weder das Lied, das sie nicht kannte, noch das Lied, das sie schon tausendmal gehört hatte, noch der bizarre alte Mann, der versuchte, ihr einzureden, dass er ihr zu Erfolg im Diamantenhandel verhelfen konnte. Sie schaltete das Radio ab und fuhr still weiter, während sie grübelte.
Sie wünschte, ihr Vater würde ihr sagen, was er über Max’ Tod wusste, damit sie es endlich zu den Akten legen konnten. All seine Kommentare darüber, dass sie nicht wüsste, womit sie es zu tun hatte, ließen sie vermuten, dass er ganz genau wusste, welches Hornissennest die Entdeckung von Max’ Leiche aufgescheucht hatte.
Es würde Wochen dauern, bis sie die Bruchstücke, die er ihr gab, zusammensetzen konnte. Bis dahin würde die Polizei das Interesse verloren haben. Sie war schon überrascht, dass sie bislang überhaupt so viel unternommen hatten. Es gab kein öffentliches Interesse an zwanzig Jahre alten Knochen. Warum auch? Wen sollte es kümmern?
Sie rutschte mit Unbehagen in ihrem Sitz umher. Zach McKnight schien es zu kümmern. Er hätte sich so weit wie möglich von diesem Fall fernhalten sollen. So weit, wie ihn seine kräftigen Hüften zu tragen vermochten.
Warum waren ihr seine Hüften aufgefallen? Sie hatte Polizisten abgeschworen, egal wie hübsch deren Augen waren.
Als sie vor dem Haus ihres Vaters parkte, brannte keines der Lichter. Es war gut, dass sie vorbeigekommen war. Wenn er jetzt noch nicht wach war, würde er zu spät zur Arbeit kommen. Es wurde für jedermann immer schwieriger, einen Job zu finden, und für einen über fünfzigjährigen Alkoholiker, der nicht sonderlich gesund war, galt das umso mehr. Er musste diese Anstellung so lange wie irgend möglich behalten, denn Veronica würde ihn weder unterstützen, noch ihm weiteres Geld von ihren Ersparnissen leihen.
Leihen, lächerlich. Sie hatte bereits beim Ausstellen des letzten Schecks gewusst, dass sie das Geld nie wiedersehen würde.
Sie musterte das Haus mit seiner absackenden Terrasse und der abblätternden Fassadenfarbe. Irgendwann würde das alles ihr gehören. Die Terrassenstufen quietschten unter ihrem Gewicht. Sie hatte sich noch nie weniger wie eine Prinzessin gefühlt.
Sie klopfte. »Dad? Ich bin’s, Ronnie.«
Keine Reaktion. Vielleicht stand er unter der Dusche. Oder vielleicht war er noch immer unterwegs. Sie klopfte erneut. Wieder nichts. Sie fischte den Schlüssel aus ihrer Handtasche und gewährte sich selbst Einlass. Sie ging hinein und verstaute den Schlüssel wieder in der Tasche.
Sie wäre beinahe in der Blutlache am Boden ausgerutscht. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, was sie aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, und einen weiteren, um festzustellen, dass ihr Vater inmitten des Blutes lag.
Sie krächzte, als wäre ein Schrei in ihrem Kehlkopf stecken geblieben. Vorsichtig,
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