Im Dunkel der Nacht (German Edition)
George hatte eine Tochter. Mich. Er kommt heute nicht zur Arbeit, und er kommt nie mehr zur Arbeit.« Sie legte auf.
Vielleicht sollte sie von weiteren Anrufen absehen. Sie band ihre nassen Haare zu einem Pferdeschwanz und kletterte erschöpft ins Bett. Jedes Gelenk fühlte sich an, als hingen zehn Pfund daran. Vielleicht würde ihr etwas Schlaf helfen.
Fünfzehn Minuten später war klar, dass ihr dieses Glück verwehrt bleiben würde. Sie lag wach und beobachtete, wie der Deckenventilator über ihr gelangweilte Bahnen zog. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie nur das Bild ihres Vaters, wie er am Stufenansatz in einem See aus Blut lag.
Sie überlegte, ob sie eine Schlaftablette nehmen sollte, doch sie wollte sich später nicht erschlagen fühlen. Sie konnte ja jetzt schon kaum einen Fuß vor den andern setzen. Hier liegen konnte sie allerdings auch nicht. Irgendetwas musste sie tun. Nur was?
Sie ging all die Dinge durch, die normale Menschen in einer solchen Situation taten. Es galt niemanden zu benachrichtigen. Keine Vorkehrungen zu treffen. Gab es Papierkram zu erledigen? Den gab es eigentlich immer. Sie wusste nicht einmal, ob ihr Vater ein Testament hatte und wer sein Anwalt hätte sein können.
Vielleicht würde sich etwas im Haus finden. Sie sah auf die Uhr. Bestimmt war die Polizei inzwischen fertig. Sie schlug die Decke zurück und machte sich auf die Suche nach ihrer Handtasche. Sie fand Zachs Karte und rief ihn an.
»McKnight.« Er ging beim zweiten Klingeln ran.
»Hey, hier ist Veronica.«
»Was gibt es? Geht es Ihnen gut?« Er klang so, als riefe sie jeden Tag an.
»Könnte ich … Ich meine, wäre es in Ordnung, wenn ich jetzt ins Haus meines Vaters käme? Ich habe mir gedacht, ich kümmere mich um etwas Papierkram.«
Es gab eine Pause. »Sie müssen das nicht sofort machen. Warum gönnen Sie sich nicht einen Tag Ruhe oder so?«
»Ich muss etwas tun. Ich kann nicht schlafen.«
»Ja. Ich kenne das Gefühl. Also gut. Ich denke nicht, dass sie etwas durcheinanderbringen können. Wie Sie schon sagten, Ihre Fingerabdrücke sind ohnehin überall im Haus. Und, Veronica?«
»Ja?«
»Inwieweit es auch immer von Bedeutung sein mag, es tut mir wirklich leid.«
Sie konnte kaum noch auflegen, ehe schon die Tränen flossen.
»Die Knochen sind alt. Sie sind spröde und beschädigt. Es hat eine Weile gedauert herauszufinden, was zum Todeszeitpunkt passiert ist. Und nachdem die Knochen ausgegraben und umgebettet wurden.« Dinsmore schob Zach und Frank einen Stapel Unterlagen zu. »Diese Überreste erzählen eine Geschichte. Ich weiß nicht, ob sie irgendjemand hören möchte, aber sie schreien sie so laut heraus, wie sie nur können.«
»Und?«, fragte Frank, der kaum auf die Papiere sah.
»Und es gibt eine Vielzahl an Frakturen, die zu Lebzeiten des Jungen verursacht wurden.« Dinsmore schob seine Brille nach oben und sah die beiden Detectives an. »Dieses Kind wurde von klein auf massiv geschlagen. Das setzte sich konstant bis zu seinem Tod fort.«
»Wann fing das an?«, fragte Zach.
»Ich schätze, der erste Bruch, die Spiralfraktur seines linken Arms trat auf, als er sechs oder sieben war. Er wurde nie behandelt.«
Zach zuckte zusammen. Spiralfrakturen waren eine der häufigsten Folgen von Kindesmisshandlung. Diese traten gemeinhin auf, wenn jemand, der größer und stärker war, dem Kind den Arm auf den Rücken drehte. Nicht immer wurden solche Brüche behandelt, denn der Besuch beim Arzt brachte Fragen mit sich, die niemand beantworten wollte. »Gibt es irgendwelche Krankenhausakten?«
Dinsmore schüttelte den Kopf. »Ich konnte keine finden.«
»Was noch?«, fragte Frank.
»Es gab einige Rippenbrüche, die ganz gut verheilt sind.« Eine weitere Verletzung, die durch Misshandlung entstand und meist unbehandelt blieb. »Dann haben wir noch das, was unmittelbar vor seinem Tod aufgetreten ist. Das dürfte euch am meisten interessieren.« Dinsmore brachte einige Röntgenaufnahmen an der Leuchtwand an. »Diese Brüche in den Armen entstanden vor seinem Tod.«
Zach stand auf, um sich das Ganze näher anzusehen. »Verteidigungsverletzungen?«
»Höchstwahrscheinlich. Sie sind typisch für jemanden, der seine Arme über den Kopf hält, um Schläge abzuwehren, die auf ihn einprasseln.«
Zachs Magen drehte sich um. Wie alt war der Junge gewesen? Siebzehn? Achtzehn? Was konnte er angestellt haben, um derartige Schläge zu kassieren? »Was noch?«
»Nun, die Rippenbrüche traten ebenfalls
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