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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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öffnenden und schließenden Lifttür vor ihren Augen.
    Flemming legte seine Hand auf die ihre, zog sie aber gleich wieder fort.
    Â»Wie alt war er noch mal, als – es passierte?«
    Â»Sechsunddreißig.« Sie drehte den Stiel des Glases, gab sich Mühe, sich wieder zu fangen. Es war schwer, an seinen Tod zu denken. »Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
    Â»Hm, lassen Sie mich nachdenken. Das müsste jetzt – ja, ungefähr fünfzehn oder sechzehn Jahre her sein.«
    Ebba rechnete nach, und das Entsetzen, das sie so gewissenhaft tief in sich versteckt hatte, regte sich.
    Â»1995?«, fragte sie und hörte ihre Stimme kieksen.
    Flemming angelte sich mit einem »Darf ich?« ihren Klops vom gemeinsamen Vorspeisenteller und zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Er studierte damals BWL , und wir haben uns für einen Abend in Heidelberg getroffen. Er ist nach dem Studium dort geblieben, und ich habe gehört, dass er dort auch gestorben ist. Warum haben Sie ihn eigentlich in Baden-Baden beigesetzt? Ach herrje, Entschuldigung, Sie sind ja ganz blass geworden. Ich wollte nicht wieder davon anfangen. Es tut mir leid. Bitte verzeihen Sie. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil wir uns aus den Augen verloren haben. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich nur an mein eigenes Leben gedacht habe und nicht mehr an Georg. Ich glaube, kurz nach unserem letzten Treffen ist Ihr Vater gestorben, kann das sein? 1994 oder 1995?«
    Immer noch kämpfte Ebba mit dem Eis in ihrem Innern, das sie von den Füßen bis zum Kopf lähmte. Sie wollte das fast leere Weinglas ergreifen und stieß es ungeschickt um. Flemming sprang auf, tupfte die Flüssigkeit mit einem Stofftaschentuch auf, was Ebba irgendwie anrührte. Wer hatte heutzutage noch ein Stofftaschentuch in der Hosentasche! Gebügelt. Gebannt sah sie zu, wie der Tisch wieder trocken wurde. Flemming blickte sie fragend an, aber sie verstand nicht, was er wollte.
    Â»Trinken wir noch was?«
    Â»Nein, nein, auf keinen Fall!«, stieß sie hervor. »Ich möchte nach Hause.«
    Â»Ich habe Sie mit den alten Geschichten aufgewühlt. Wie kann ich das wiedergutmachen? Geben Sie mir noch eine Chance? Ich verspreche, dass ich kein Wort mehr über die Vergangenheit verlieren werde. Großes Ehrenwort!«
    Wäre das Entsetzen nicht immer noch in ihr gewesen, wäre es nicht auf und ab gewandert wie ein Tiger im Käfig, bereit, ihr an die Gurgel zu springen und sie zu zerfleischen, hätte sie sich über seinen drollig zerknirschten Gesichtsausdruck amüsiert. So aber wollte sie nur noch fort von hier. Schon begann das Brummen in ihrem Kopf, legte sich der Ring um den Brustkorb, versagte die Lunge ihren Dienst. Möglichst unauffällig schnappte sie nach Luft und lächelte, auch wenn es ihr schwerfiel.
    Â»Können wir bitte zahlen?«
    Â»Was ist mit Ihren Haaren?«
    Â»Nichts. Ich würde gern gehen.«
    Flemming legte ein paar Geldscheine auf den Tisch und folgte ihr nach draußen. Die frische Luft half nicht viel, immer noch rüttelte und schüttelte das Entsetzen an den Gitterstäben, schrie Verwünschungen, verfluchte sie.
    Â»Kann ich Ihnen helfen? Darf ich Sie nach Hause fahren?«
    Entsetzt wehrte sie ab. »Lassen Sie mich bitte. Ich gehe noch schnell in der Galerie vorbei.«
    Â»Ich begleite Sie.«
    Â»Nicht nötig.«
    Unschlüssig schob er die Hände in die Hosentaschen und hob die Schultern hoch. »Bekomme ich eine zweite Chance?«, fragte er leise. »Darf ich Sie morgen anrufen?«
    Um ihn endlich loszuwerden, nickte sie schwach und ließ ihn stehen.
    In der Galerie schloss sie hinter sich ab und ließ sich auf einen der kleinen Besuchersessel sinken. Die Welt hörte auf sich zu drehen. Das Tier in ihr knurrte noch ein paar Minuten, dann legte es sich wieder schlafen.
    Lange starrte sie die Stahltüren an und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass hinter ihnen endlich, endlich wohltuende Leere herrschen würde.
    Flemming gab nicht auf. Am nächsten Vormittag sandte er ihr einen dicken Frühlingsstrauß mit der Bitte, ihn noch einmal zu treffen. Weiter las sie nicht, sondern warf den Brief in den Papierkorb. Es tat nicht gut, jemanden aus der Vergangenheit zu sehen. Sie mochte nicht mehr an die schlimmen Tage denken, sie mochte auch nicht mehr an Georgs Qualen erinnert werden.
    Was wollte Flemming von ihr? War das

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