Im Dunkel der Schuld
Gespräch über Georg ein Ablenkungsmanöver gewesen, weil er wusste oder vielleicht von Frau Hilpert gehört hatte, dass sie mit den Bildern aus dem Nachlass ihres Vaters nicht mehr öffentlich handelte? Womöglich dachte er, er könne sich mit alten Geschichten über ihren Bruder bei ihr einschmeicheln, damit sie eine Ausnahme machte.
Sie spielte in jüngster Zeit immer konkreter mit dem Gedanken, die komplette Sammlung einem Kollegen zur alleinigen Vermarktung anzubieten. Dann würde er das Bild eben in Hamburg, Berlin oder Leipzig kaufen müssen. Endgültig hatte sie sich noch nicht entschieden, obwohl sie mit der Galerie Eigen+Art liebäugelte, die Neo Rauch groà gemacht hatte. Dessen Werke wurden demnächst im Burda-Museum ausgestellt, und es ergab sich gewiss eine Gelegenheit, mit dem Besitzer zu reden. Ebba kannte ihn von ein paar Kunstmessen, ein angenehmer Mensch, bei dem die Sammlung in besten Händen sein würde. Vor allem würde er sie nicht mit Details belästigen. Sie würde ihm die Ware in Kommission geben und fertig. Aber erst, wenn sie sich zutraute, die Bilder ein letztes Mal zu inspizieren, zu taxieren, Echtheitszertifikate auszustellen, sie einzeln zu fotografieren ⦠Es war eine Unmenge an Vorarbeit notwendig, für die sie bereit sein musste. Nächste Woche vielleicht, oder im Mai oder Juni.
Um sich abzulenken, lud sie für den Abend Jörg zu sich ein. »Ich koche uns etwas; das ist doch gemütlicher, als in Restaurants herumzusitzen«, sagte sie.
Jörg brachte Blumen mit, die denen Flemmings ähnelten, kein Wunder, beide hatten die SträuÃe im selben neuen Geschäft in der SophienstraÃe geordert. Ebba verbiss sich ein Lachen und stellte insgeheim Vergleiche an, was natürlich unfair war, denn gegen Flemming verblasste Jörg ein wenig, trotz seines umwerfenden Charmes. Er war nicht so intensiv wie Flemming, er war weicher und wärmer, leichter. Er stellte diesmal wohlweislich keine Fragen zur Vergangenheit, sodass sie sich vollkommen entspannen konnte.
Es gab nur eine Kleinigkeit, Spaghetti mit Shrimps und Rucola, dazu einen leichten WeiÃburgunder auf der Dachterrasse. Es war ein wundervoller, friedlicher Abend, und auch nachdem die Sonne hinter dem Fremersberg untergegangen war, konnten sie noch eine Weile drauÃen sitzen. Bis der kalte Wind von den Schwarzwaldhöhen sie in die Wohnung trieb, gab Jörg Anekdoten aus Südtirol zum Besten, schwärmte von der grandiosen Landschaft der Dolomiten. Es war leicht, sich in seiner Gesellschaft wohlzufühlen.
Drinnen zeigte er ihr auf seinem Laptop seine Fotoausbeute. Dazu musste er Rosies Computer beiseiteräumen, ebenso die Aktenordner, die Ebba immer noch nicht vollends durchgearbeitet hatte. Er warf einen Blick auf die Ratgeber, die sich daneben türmten, und zog fragend die Augenbraue hoch.
»Das sind Rosies Sachen«, erklärte Ebba schnell, ehe er auf falsche Gedanken kam und womöglich meinte, sie habe diese psychischen Probleme. »Ich hatte gehofft, etwas herauszufinden, aber es gibt nichts. Ich werde wohl nie erfahren, was wirklich geschehen ist. Das macht mich ganz kribbelig.«
Jörg zog sie wie ein rohes Ei an sich und strich ihr die Haare glatt. »Die Polizei geht von Selbstmord aus. Warum akzeptierst du das nicht?«
Ebba machte sich los. »Weil es Indizien gibt, die dagegensprechen.«
»Indizien sind keine Beweise. Niemand hat deinen Unbekannten zu Gesicht bekommen, das hast du doch selbst gesagt. Selbst wenn er existiert, gäbe es keinen Zusammenhang zu den anderen Todesfällen in deiner Familie, auch wenn du dir noch so oft den Kopf darüber zerbrichst.«
Nachdenklich sah sie zu ihm hoch.
»Doch«, sagte sie langsam, während sie ihre Theorie noch einmal überprüfte. »Ich glaube allmählich, es gibt einen Zusammenhang. Und einen Beweis: die Flasche!«
Ausführlich schilderte sie ihm die merkwürdige Tradition, die sich auf dem Seidelâschen Familiengrab abspielte. »Samstag ist der 26. März«, schloss sie. »Diesmal werde ich auf den Kerl warten. Diesmal kriege ich ihn!«
»Aber nicht allein!«, erwiderte Jörg besorgt. »Ich komme mit. Keine Widerrede!«
Es war inzwischen fast Mitternacht, wie Ebba erschrocken feststellte. Jörg folgte ihrem Blick zur Uhr.
»Ich sollte jetzt wohl gehen«, sagte er mit belegter Stimme, räusperte sich und sah
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