Im Dunkel der Schuld
sie lange an.
Die Luft zwischen ihnen knisterte, und das machte sie nervös. Er war nur ein alter Freund. Nur ein alter Freund.
Sie dachte an die früheren gemeinsamen Nächte, und tief in ihr begann es zu brodeln. Viel zu lange hatte niemand mehr sie im Arm gehalten, hatte ihr romantische Dinge ins Ohr geflüstert, sie gestreichelt, geliebt, festgehalten â¦
Das Leben war verdammt kurz. Es wollte endlich gelebt werden.
Siebenundzwanzig
Freitag, 25. März 2011
Nervös trommelte Ebba mit den Fingern auf der Schreibtischplatte und wartete, bis der Computer endlich herunterfuhr. Ausgerechnet heute wollte noch ein Update aufgespielt werden, und sie traute sich nicht, es abzuwürgen, weil sie schon über einen Monat kein Back-up gemacht hatte. Es war fast gesetzmäÃig, dass Computer genau in solchen Situationen abstürzten.
DrauÃen dämmerte es bereits, sie sollte längst am Friedhof sein. In der Dunkelheit würde Jörg das Grab ohne ihre Hilfe kaum finden, obwohl sie es ihm genau beschrieben hatte. Vielleicht tappte er schon mit Schlafsack, Picknickkorb und Klappstühlchen auf dem Gelände herum und verscheuchte womöglich den mysteriösen Flaschenmann, wie sie den Kerl insgeheim getauft hatte. Sie wollte ihn unbedingt stellen. Sie musste endlich wissen, was es mit diesem Treiben auf sich hatte.
Die Türglocke klimperte, und sie verfluchte sich innerlich, dass sie nicht längst abgeschlossen hatte. Ein Kundengespräch war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.
Flemming, ausgerechnet. Im dunklen Anzug, mit charmantem Lächeln, einer Champagnerflasche unter dem Arm und zwei Gläsern in der einen Hand, während er mit der anderen mit mehreren aufgefächerten Eintrittskarten wedelte.
»Würden Sie eine kleine Entschuldigung für das verkorkste Treffen am Dienstag annehmen? Sie können es sich aussuchen: Theater oder Kino. Ich habe für beides Karten besorgt, weil Sie auf meinen Vorschlag nicht geantwortet haben.«
Die Windows-Melodie erklang, und Ebba klappte den Laptop heftig zu. »Wenn ich Ihnen nicht antworte, so heiÃt das, dass ich keinen weiteren Abend mit Ihnen verbringen möchte. Ich muss gehen. Bin schon zu spät dran.«
Enttäuscht lieà der Mann die Arme sinken, was sie noch mehr aufbrachte. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben, verdammt. Er sollte verschwinden, am besten sofort!
»Wenigstens ein kleines Glas?«
Flemming ging ihr auf die Nerven, da konnte er noch so nett lächeln.
»Ich bin in Eile, sorry. AuÃerdem habe ich kein Interesse an einem weiteren privaten Kontakt.«
Verlegen stellte er Flasche und Gläser auf ihrem Schreibtisch ab und steckte die Karten ein. »Das habe jetzt sogar ich verstanden.« Er presste kurz die Lippen zusammen, bevor er mit einem Ruck den Kopf hob. »Gut. Dann würde ich gern einen geschäftlichen Termin mit Ihnen vereinbaren.«
»Rufen Sie mich Dienstag an.«
»Können wir uns nicht morgen �«
»Da ist die Galerie geschlossen.« Entweder würde sie hundemüde von der durchwachten Nacht sein, oder sie würde den Flaschenleger in der Mangel haben.
»Dann also Dienstag.«
»Aber ich möchte nicht über die alten Dinge sprechen. Und wenn Sie ein Seidel-Bild haben wollen â die sind unverkäuflich.«
»Darf der Freund Ihres Bruders sie wenigstens ansehen?«
»Nicht gern. Ich überlege mir gerade, ob ich mich in Kommission von der gesamten Sammlung trenne. Ich kann Ihnen Bescheid geben, wenn es so weit ist, dann können Sie sich an den Galeristen wenden, der den Zuschlag bekommt.«
Ebba zog den dunklen Parka über und quetschte sich in dicke Winterstiefel, was sicherlich angesichts der warmen Frühlingsluft seltsam wirkte. Doch die Nacht im Freien würde kalt werden.
Flemming begann zu lachen. »Wo wollen Sie denn hin? Zum Nordpol? Darf ich Sie begleiten? Extremsport hat mich schon immer interessiert.«
Ebba schüttelte den Kopf und tippte auf ihre Armbanduhr. »Darf ich Sie jetzt bitten zu gehen? Ich will abschlieÃen.«
Ihr Handy klingelte, es war Jörg. Sie ging nach hinten zur Teeküche und flüsterte, damit Flemming sie nicht hörte.
»Hast du es gefunden? Ja, das groÃe Familien ⦠Ja, das mit der roten Marmorpyramide und dem frischen Holzkreuz daneben. Ich bin in zehn Minuten da.«
Sie hörte Flemmings Schritte ganz in der Nähe. Hatte er
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