Im Dunkel der Schuld
selbst angesetzt.
Er war nach Hause gegangen, hatte sein Verlangen mit Mineralwasser zu bekämpfen versucht â ein lächerliches Unterfangen. Mandy hatte ihn aus der Küche geworfen, weil er angeblich unausstehlich war. Er hatte am Steingarten weiterbauen wollen, aber in dem Augenblick war ein Wolkenbruch heruntergekommen. Also hatte er sich ins Gewächshaus verzogen, den Pflanztisch angestarrt, hinter dem früher sein kleiner Seelentröster stand. Seine Hände hatten angefangen zu zittern, je länger er an Blutwurz dachte. Oder Gin. Oder Wodka. Inzwischen war es ihm schon egal.
Am liebsten wäre er zur nächsten Tankstelle gefahren und hätte sich einen Flachmann gekauft. Eingewickelt in die Bildzeitung, damit Mandy nichts sah. Aber sie würde es sofort merken. Sie hatte ihn ja schon die letzten Tage prüfend gemustert, als wolle sie gleich wieder mit ihrer heimlichen Suche nach leeren Flaschen beginnen.
Durch die trüben Fenster hatte er Paul über die steile Hoffläche schlendern sehen und war wieder zur Besinnung gekommen. Es würde etwas Schlimmes passieren, wenn er wieder anfing. Diese Vorstellung hatte ihn die ganzen Jahre davon abgehalten, rückfällig zu werden, und so würde es auch diesmal sein. Aber seine Hände beruhigten sich ebenso wenig wie seine Gier.
Als es dämmerte und die ersten jugendlichen Gäste eintrudelten, gab er seinen inneren Kampf gegen die Versuchung auf. Er würde hingehen. Wenn die Flasche noch dalag, würde er sie entfernen. Sie hatte auf einem Grab nichts zu suchen. Was hatte er sich nur dabei gedacht, dem Kerl zu erlauben, sie zurückzulegen? Die Flasche musste fort. Er würde sie aufheben, den Inhalt überprüfen und sie wegwerfen. Ausschütten und wegwerfen. Jawohl, ausschütten! Nichts anderes.
Langsam stand er auf, straffte sich und ging los. Der Regen hatte aufgehört, groÃe Pfützen hatten sich dort gebildet, wo die Wege eben waren, an anderen, steilen und unbefestigten Stellen hatte sich das Wasser kleine Bachläufe gegraben. Es tropfte von den Bäumen, kein Mensch war unterwegs.
Das Grabbeet war leer.
Buschert atmete tief ein und aus. Dankbarkeit überfiel ihn, gepaart mit grenzenloser Erleichterung. Der Kelch war an ihm vorübergegangen.
Aber er musste auf der Hut sein, das hatte er gelernt. Beschwingt hatte er kehrtgemacht und hatte endlich die jungen Gäste begrüÃt, die mit Laptops, Chipstüten und Kopfhörern das Wohnzimmer belagerten.
Er hatte auch den Sonntag überstanden, die Feier im Waldcafé, bei der die Verwandten Rotwein, Bier und Prosecco bestellten. Er hatte sich am Wasser festgehalten, immer noch glücklich und erleichtert, und auch die betont gleichgültigen und doch forschenden Seitenblicke der Tanten und Cousinen hatten ihm nichts ausgemacht. Bevor es nach dem Nachtisch an den Schnaps ging, war er aufgebrochen und hatte wie üblich einen langen Spaziergang durch den Wald unternommen. Es hatte gewirkt.
Aber heute war das Ziehen und Sehnen wieder da. Schlim mer noch als vorgestern. Es war, als würde die Erde nach Schnaps riechen. Mittags hatte er sich eingebildet, das Mineralwasser schmecke nach Wodka, dabei konnte das nicht sein. Er hatte es aus dem Kasten genommen, den der Chef immer spendierte. Es war die letzte Flasche gewesen, aber es hatte eindeutig Mineralwasser auf dem Etikett gestanden. Trotzdem hatte es im Mund warm und vertraut geschmeckt, fast hätte er es ausgespuckt vor lauter Angst, jemand könne ihm Alkohol untergejubelt haben. Dann hatte er sich wieder beruhigt. Wer sollte denn auf solch eine Idee kommen?
Aber verdammt, verdammt, es hatte so wunderbar geschmeckt. Wie im Traum, ja, wie im Traum. Der Arbeitstag war nur so verflogen, und nun stand er hier in seinem eigenen, noch unvollendeten Steingarten, verrückt vor Tatendrang.
Es fehlten noch ein paar groÃe Felsbrocken in der Trockenmauer, er durfte sie sich aus dem Steinlager des Friedhofs nehmen, das hatte ihm der Chef erlaubt. Hoffentlich sprang der Radlader an. Letzte Woche hatte er Probleme gemacht, war die ersten Meter nur bockig und mühsam in Gang gekommen. Das Ãl wahrscheinlich. Der Hanomag stammte aus dem Jahr 1974, ein Oldtimer, den er von seinem Vater geerbt hatte. Durch den TÃV würde er nicht mehr kommen, aber er benutzte ihn ja nur auf seinem Privatgelände, da scherte sich kein Schwein um Vorschriften und Sicherheit. Das Einzige, was
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