Im Dunkel der Schuld
eingebildet, hatte die Augen fest zugekniffen und zu spüren gemeint, wie jemand heranschlich â¦
Dann war das Licht wieder aufgeflammt.
Es war nur ein Stromausfall gewesen, im ganzen Haus, wie sie heute Morgen erfahren hatte. Aber die Angst hatte sie trotzdem die ganze Nacht nicht mehr losgelassen.
Und nun stand die Mittagspause mit Flemming und seinem Wunsch, die Bilder zu sehen, wie ein Berg vor ihr. Die Gespenster der Vergangenheit mussten ruhen, weggesperrt bleiben. Auf ewig.
Andererseits waren sie doch bereits seit Tagen entfesselt, seit dem Vorfall auf dem Friedhof, seit dem Anblick der Flasche, dem Schnapsgeruch, seit Jörgs Fragen und all den Gedanken, die sich in ihren Kopf drängten. Sie hatte gestern an ihrem freien Tag ein Doppeltraining eingelegt, war am helllichten Nachmittag ins Kino gegangen, aber es hatte nichts genutzt. Stets hatte das Bewusstsein sie verfolgt, dass die Ungeheuer der Vergangenheit in ihr lauerten, bereit, sie zu zerfleischen. Genauso, wie ihre Mutter es prophezeit hatte. Der Stromausfall hatte dann alles noch verstärkt. Aber er hatte nichts mit ihr zu tun. Ein dummer Zufall, mehr nicht, auch wenn niemand im Haus die Ursache dafür kannte.
Ebba zwang sich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie hatte bislang alles ausgehalten. Auch jetzt wollte sie stark sein. Sie würde die Türen öffnen und Flemming die Bilder zeigen. Es waren nur Bilder, würde sie sich einreden. Vielleicht konnte sie bei dieser Gelegenheit auch gleich endgültig mit dem Thema abschlieÃen. Und gleich morgen würde sie in Leipzig, Berlin und Köln anrufen. Sollten die Kollegen doch kommen und ihr einen Preis nennen. Warum musste sie die Bilder eigentlich selbst taxieren? Es war doch gleichgültig, wie viel sie einbrachten. Sie würde das Geld sowieso nicht anrühren.
Wenn Flemming nicht in den nächsten fünf Minuten aufkreuzte, würden die Türen allerdings geschlossen bleiben. Dann würde sie keinen Blick auf die Bilder verschwenden, und auch das Ungeheuer würde sich wieder schlafen legen.
Die Türglocke. Ebba straffte sich und setzte ihr Geschäftslächeln auf.
»Sie sind pünktlich.«
Flemming stellte eine längliche Tüte ab und verbeugte sich über ihrer Hand.
»Ich lasse nicht locker und habe den Champagner vom Freitag mitgebracht. Gut gekühlt, natürlich. Was meinen Sie? Ein Gläschen in der Mittagspause kann doch nicht schaden, oder? Für später habe ich im Rizzi einen Tisch auf der Terrasse direkt an der Allee reserviert, falls Sie heute Lust auf einen kleinen Imbiss haben.«
»Ich dachte, Sie wollen die Bilder sehen.«
Seine Chagallaugen bohrten sich in ihre. Er lächelte leicht und machte eine schnelle Handbewegung. »Ich hatte Freitag den Eindruck, ich belaste Sie damit. Verschieben wir es, bis es für Sie leichter ist. Ich will Sie nicht quälen. Ich würde meiner Schwester gern einen echten Seidel für ihre Geschäftsräume schenken, falls ich ihn mir überhaupt leisten kann, aber das hat Zeit. Es kann genauso gut ein Weihnachtsgeschenk werden oder eine Ãberraschung für nächsten Februar, wenn sie von ihrer üblichen Schmerztherapie zurückkommt.«
»Schmerztherapie hört sich nicht gut an«, antwortete Ebba zerstreut. Die Knie waren ihr weich geworden vor Erleichterung. Er wollte kein Bild, zumindest nicht heute. Sie musste die Stahltüren nicht öffnen. Es war fürs Erste vorbei.
Flemmings Gesicht verdunkelte sich, wurde hart. Er verzog den Mund, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht mehr.
»Ja«, sagte er langsam, »die Folgen eines Unfalls.«
»Ich dachte, Ihre Schwester sei von Geburt an krank.«
»Das ist Emmi, unsere Kleine. Sie lebt im Heim, das geht leider nicht anders, und es tut ihr gut. Sie wird dort gefördert. Ich sprach gerade von Kathrin, meiner jüngsten Schwester. Sie führt unseren Familienbetrieb in Karlsruhe seit sechs Jahren allein. So gut es halt geht mit den kaputten Knochen. Lassen Sie uns lieber über etwas anderes reden«, wechselte er in einem betont munteren Tonfall das Thema, auch wenn sich seine Mundwinkel nach unten zogen. »Das Bild dort â das ist sensationell!«
Ohne seinem Blick zu folgen, wusste Ebba, welches er meinte. Corinna Fuchs hatte es vor zwei Stunden gebracht. Es war tatsächlich auÃergewöhnlich. Sie hatten gewettet, wie lange es dauern würde, bis es
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