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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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aufgehört. Sie haben nichts Schlimmes getan. Immerhin haben sie ihn nicht vergiftet, nicht erstochen, nicht erwürgt, ertränkt, verbrannt, erschlagen.
    Sie haben nur gemeinsam am Fuß der Treppe gestanden, eine Einheit, zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie haben sich an den Händen gehalten so wie jetzt, sind zusammengerückt und haben ihm deutlich gemacht, dass er keine Macht mehr über sie hat.
    Er hat wie so oft geweint und geschrien, die Flasche gehoben und gebrüllt, sie würden ihn ins Grab bringen. Diesmal ist niemand dazwischengefahren. Niemand hat gefragt, was zu tun sei, damit er sich wieder beruhige. Niemand hat sich unterworfen. Niemand ist hingekrochen. Alle vier haben stumm eine Mauer gebildet.
    Das provoziert ihn noch mehr. Er tobt, er droht. Einen Augenblick sieht es aus, als würde die Angst wieder siegen, als würde die Unsicherheit sie niederdrücken, wie so oft.
    Aber dann ist sie vorgetreten …

Dreißig
    Samstag, 26. März 2011
    Â»Ebba! Komm zu dir! Was ist denn los?«
    Jemand packte ihre Schultern, schüttelte sie, schrie sie an.
    Sie stand nicht mehr am Fuß der Treppe. Bruno gab es nicht mehr. Georg, Rosie und Mama auch nicht. Nur Jörg, der sie ansah, als sei sie krank.
    Â»Ich bin vorgetreten und habe es gesagt«, entschlüpfte es ihr, und sofort schlug sie sich die Hand auf den Mund, erschrocken von ihren eigenen Worten. Sie durfte es niemandem verraten. Es war ihr Geheimnis. Niemals ein Sterbenswort, so lautete der Schwur jener Nacht, und alle hatten sich daran gehalten. Sie war nun die Letzte, die das Geheimnis bewahren musste.
    Â»War der Tod deines Vaters so traumatisch für dich? Du siehst aus, als wäre dir ein Geist begegnet. Du musst dich damit nicht quälen. Sag mir, was geschehen ist. Den Rest finde ich selbst heraus. Den Todestag kenne ich ja, der steht ja hier auf dem Grabstein. Ich werde die alten Zeitungen …«
    Â»Nein! Lass es sein. Hör auf. Ich will das nicht.«
    Â»Irgendwo muss ich anfangen. Vermutlich liegt da der Grund für diese makabre Flaschengeschichte.«
    Â»Wirf die Flasche weg. Wen stört sie schon? Macht sich eben einer einen schlechten Scherz. Lassen wir es auf sich beruhen, Jörg. Ich möchte nicht, dass du in der Vergangenheit herumstocherst. Bitte, versprich mir, dass du es sein lässt.«
    Â»Wie ist er gestorben?« Er sah auf einmal misstrauisch aus, genau wie der Polizist damals. Der hatte auch unangenehme Fragen gestellt, sich dann aber wohl nicht vorstellen können, dass die ganze Familie … Jörg wirkte entschlossen. Er würde sich nicht mehr mit Ausflüchten abspeisen lassen. Sie musste ihm etwas sagen, nur eine Kleinigkeit, die er auch selbst herausfinden konnte.
    Â»Mit dem Auto. Auf eisglatter Fahrbahn ins Schleudern geraten.«
    Hoffentlich gab er sich damit zufrieden.
    Â»Gibt es Unterlagen darüber? Im Ordner deiner Mutter vielleicht? Du hast damals Rosie etwas Wichtiges über die Familie erzählen wollen – ging es darum?«
    Â»Damals?«
    Â»Kurz nach der Beerdigung deiner Mutter. Als ich … Als wir uns das erste Mal vorübergehend getrennt haben.«
    Â»Damals ging es um den Tod meines Großvaters. Auch er hat sich umgebracht. Selbstmord. Immer wieder Selbstmord. Allmählich glaube ich, es ist ein Familienfluch. Lass uns gehen. Mir ist kalt.«
    In der Nacht wachte sie von einem kaum wahrnehmbaren Geräusch auf. Das Bett neben ihr war leer, im Wohnbereich brannte Licht. Jörg schien zu arbeiten. Sie hörte Papier rascheln, Tasten klicken, vorsichtiger als sonst, als gebe er sich Mühe, sie nicht zu stören.
    Sie stand auf und ging auf Zehenspitzen zu ihm. Er saß mit dem Rücken zu ihr und hörte sie nicht kommen. Gerade wollte sie ihm einen Kuss in den gebeugten Nacken drücken, da blickte sie über seine Schulter, sah, was er tat.
    Die lederne Dokumentenmappe, die er aufgeschlagen vor sich liegen hatte, war ihr allzu gut bekannt, jedes einzelne Register kannte sie, vor allem gleich das erste, das mit der Aufschrift 1995. Jörg studierte gerade den Zeitungsartikel von damals.
    Â»Was tust du!«, rief sie.
    Er fuhr ertappt herum und wurde rot. »Ich, äh … Ich will nur …«
    Sie beugte sich über ihn und klappte die Mappe zu, dann deutete sie auf den Laptop, auf dem das Datum des Unfalltages flimmerte.
    Â»Lösch das!«
    Â»Ebba, bitte, ich tu nichts ohne deine

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