Im Dunkel der Schuld
Erlaubnis. Ich wollte die Sachen nur vorsichtshalber â¦Â«
»Löschen. Sofort!«
»Es war wirklich ein Unfall, wie du gesagt hast.«
»Bitte!«
Seufzend gab er nach. »Sei mir nicht böse, ich wollte nicht hinter deinem Rücken â¦Â«
»Ach ja? Und warum dann mitten in der Nacht?«
»Ich konnte nicht schlafen. Ich finde den Vorfall mit der Flasche so merkwürdig. WeiÃt du übrigens, dass etwas Ãhnliches tatsächlich regelmäÃig geschieht? Am Grab von Edgar Allen Poe im US-Bundesstaat Maryland legt ein Unbekannter jedes Jahr zum Geburtstag des Dichters drei rote Rosen und eine halbe Flasche Cognac nieder. Das geht seit 1949 so, offenbar hat der Unbekannte die Tradition irgendwann jemand anderem, jüngeren weitervererbt.«
»Und jetzt reist er zusätzlich jedes Jahr zum Grab von Bruno Seidel â oder was willst du mir damit sagen?«
»Es kann ein Verehrer deines Vaters sein. Einer, der an einem 26. März ein Bild von ihm gekauft hat. Oder dem eine Lieferung zum 26. März versprochen, aber nicht eingehalten wurde.«
Das klang logisch. Ebba schob die Unterlippe vor.
»Trotzdem hast du nicht das Recht, in meinen Unterlagen zu schnüffeln.«
»Ich schnüffle nicht. Die Mappe lag auf dem Haufen mit Rosies Sachen.«
»Was wolltest du damit anfangen? Ich hatte dich gebeten, nichts zu unternehmen. Das ist dir wohl vollkommen egal.«
»Ãberhaupt nicht. Ohne dein Einverständnis unternehme ich nichts, das verspreche ich dir.«
Sie glaubte ihm nicht. Sein Blick flackerte, als wolle er etwas vor ihr verbergen, dann sah er weg.
»Ohne mein Einverständnis hättest du überhaupt nicht an meine Sachen gehen dürfen.«
»Stimmt. Tut mir leid.«
»Damit ist es nicht getan.«
»Entschuldige bitte. Ich habe nicht nachgedacht. Sorry. Komm, Ebba, verzeih mir. Bitte.«
Während er sprach, betätigte er ein paar Tasten und beugte er sich tiefer über den Laptop. Fast sah es so aus, als wollte er etwas auf dem Bildschirm verdecken. Ebba machte den Hals lang.
»Was �« Bevor sie noch fragen konnte, was er da löschte, erkannte sie, dass es sich um eine Aufzählung handelte, die wie eine Adressenliste aussah. Das Dialogfeld, ob die Datei »Seidel« wirklich gelöscht werden solle, erschien, dann war der Bildschirm leer.
»Ein Ordner über meine Familie?«, stotterte sie erschrocken.
»Um Himmels willen, nicht, was du denkst.«
»Jörg, ich habe eben mit eigenen Augen â¦Â«
»Das war nur der Ordner mit den alten Fotos von der Galerieeröffnung, plus natürlich die Adressen von dir geschäftlich, privat sowie von Petra Hilpert und meinem Kumpel. Alles ganz harmlos. Brauche ich nicht mehr. Ich hab jetzt ja dich. Mit Haut und Haaren â¦Â« Er lachte, aber Ebba durchfuhr es eiskalt.
»Harmlos? Du spionierst mich aus!«
Er biss sich auf die Unterlippe. »Ebba, bitte, steigere dich nicht in etwas hinein.«
»Bist du komplett verrückt geworden? Ich soll mich nicht hineinsteigern? Du hintergehst mich, und ich soll dich jetzt vielleicht noch fragen, ob du Papier zum Ausdrucken brauchst, oder wie?«
»Ich verstehe ja, dass du wütend bist. Aber du hast das missverstanden.«
»Warum soll ich dir glauben? Du solltest dich sehen. Das schlechte Gewissen in Person. Du kannst mir ja nicht einmal in die Augen schauen. Was steckt hinter dieser Neugier? Warum interessiert dich ständig meine Vergangenheit?«
»Es ist nichts, Ebba. Es ist nur â¦Â« Er stockte, als würde er einen inneren Kampf ausfechten. Dann holte er tief Luft. »Ebba, ich liebe dich. Ich wollte dir nicht wehtun. Ich habe es nur gut gemeint, weil ich dachte â¦Â« Wieder war da dieses merkwürdige Zögern. »Entschuldige. Ich sollte wirklich akzeptieren, dass du an den Tod deines Vaters nicht erinnert werden willst.«
Etwas zerbrach in Ebba. Erst jetzt wurde ihr das ganze Ausmaà seines Verrats deutlich. Konnte sie ihm noch jemals trauen? Es fiel ihr schwer, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.
»Ich habe dich unendlich oft darum gebeten, aber du ⦠Und deshalb â¦Â«
Jörg sprang hoch. »Sag jetzt nichts!«, rief er aufgeregt und hielt ihr den Mund zu.
Augenblicklich verschwamm alles vor ihren Augen. Panik schoss in ihr hoch, schaltete ihren Verstand aus. Instinktiv packte sie seine Hand, drehte sich um die eigene
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