Im Dunkel der Schuld
oder?«
Einen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, Patri cia Wieland, die Freiburger Kriminalbeamtin, um Hilfe zu bitten. Deren Visitenkarte klebte immer noch seitlich am Computer. Aber was sollte sie ihr sagen? Dass er ihr ein bisschen unheimlich war? Dass sie das Gefühl nicht loswurde, er habe sie ausfragen wollen? Dass sie gern gewusst hätte, ob er Georg wirklich gekannt hatte?
Sie würde sich lächerlich machen. Ein »komisches Gefühl« war entschieden zu wenig, um die Polizei nach ihm fahnden zu lassen.
VierunddreiÃig
November 2011
Der Anruf kam zur denkbar falschen Zeit am falschen Ort. Sie waren, bevor das für Ebba anstrengende Weihnachtsgeschäft beginnen würde, nach Madeira geflogen, was sie an Jörgs Seite erstaunlich gut überstanden hatte. Es gab um diese Jahreszeit kein Urlaubsziel mit Sonnengarantie, das sie per Auto hätten erreichen können. Also hatten sie für zehn Tage ein geräumiges Ferienhaus fünfzehn Fahrminuten von Funchal entfernt gebucht.
Soeben waren sie von einem Tagesausflug zurückgekommen. Endlich einmal kein Gänsemarsch an den Levadas entlang, sondern eine schöne Tour von Ponta do Pargo hinunter zum Atlantik, wo es sogar warm genug für ein Sonnenbad gewesen war. Nach dem beschwerlichen, über eine Stunde dauernden Aufstieg hatten sie in der Nähe eines Leuchtturms gut gegessen. Nichts denken, nicht grübeln, keine Beziehungsdiskussionen â sie genossen ihren Urlaub. Von der riesigen Terrasse ihres Ferienhauses aus konnte man auf den Atlantik sehen, bald würde die Sonne untergehen â sehr romantisch. Die Flasche Rotwein war gerade geöffnet worden, Ebba hielt ihr Glas Jörg entgegen, der mit einem begehrlichen Blick auf ihren Ausschnitt einen Schritt näher kam und keine Anstalten machte, einzuschenken. Genau da klingelte ihr Handy.
Er stellte die Flasche ab, verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und legte seinen Finger leicht auf ihre Lippen, fuhr dann mit dem Daumen ihre Kehle entlang, über die Halsbeuge hinunter zwischen ihre Brüste, umfing sie ganz sacht â und das Handy klingelte weiter.
Ebba seufzte. »Nur ganz kurz. Das ist Frau Hilpert. Sie hat gleich Feierabend. Es muss dringend sein.« Sie tastete über den Tisch, während Jörg noch näher an sie heranrückte und begann, ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken.
Sie hob die Hand, ihr vereinbartes Zeichen, dass er aufhören musste, und nahm das Gespräch an.
»Ich störe Sie wirklich ungern im Urlaub, Frau Seidel«, sagte Frau Hilpert. »Aber er meinte, Sie würden es sofort wissen wollen.«
»Wer? Was ist denn geschehen?« Ebba versuchte, ihre Stimme nicht zu heben. Sie konnte unklare Andeutungen nicht ausstehen, das wusste Frau Hilpert, und normalerweise war das auch nicht deren Art.
»Der Marlboro-Mann.«
Ebba durchfuhr es wie ein glühendes Schwert. Sie hatte seit Monaten nicht mehr an ihn gedacht. Er hatte sich nie mehr gemeldet, und damit war die Sache irgendwann für sie erledigt gewesen. Sie hatte sich im Nachhinein über ihre Redseligkeit geärgert, ebenso darüber, dass sie sich so viele Gedanken über ihn gemacht hatte. Seine Besuche waren einfach reine Neugier gewesen, Georgs Schwester kennenzulernen, ein Zeitvertreib, weil er gerade in der Nähe war. Mehr nicht. Und ihr waren fast die Nerven durchgegangen.
»Flemming? Was wollte er?«
»Sich entschuldigen, weil er nicht zur Rauch-Ausstellung kommen konnte.«
»Die ist doch schon Monate her. Hat er sonst noch etwas gesagt? Eine Telefonnummer oder Adresse hinterlassen? Oder gesagt, wann er wieder nach Baden-Baden kommt?«
»Nein, tut mir leid.«
»Konnten Sie auf dem Display seine Nummer sehen?«
»Nein, nein, er hat nicht angerufen. Er war gerade hier. Er war sehr enttäuscht zu hören, dass Sie Urlaub machen. Er hatte eine Ãberraschung für Sie vorbereitet, und deshalb tat es ihm sehr leid, dass Sie sich verpasst haben. Es klang so, als hätten Sie sich für heute verabredet, deshalb wollte ich kurz bei Ihnen nachfragen, ob ich etwas tun soll.«
Ebba schüttelte den Kopf. Seit März hatte er sich nicht mehr gemeldet. Und nun tauchte er ohne Vorwarnung auf und fand es schade, dass sie nicht da war? Eine Ãberraschung? Die konnte er sich an den Hut stecken!
»Hat er seine Visitenkarte dagelassen?«
»Haben wir ihn nicht in der
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