Im Dunkel der Schuld
kannten sogar meine Schwägerin?«
»Leider nicht persönlich. Aber er hat viel von ihr geredet. Sie stammt von den Philippinen, nicht wahr? Lebt sie noch in dem Haus in Heidelberg?«
»Nein, sie ist zu ihrer Familie zurückgekehrt. Sie war sehr nett und geduldig mit ihm. Gerade auch zum Schluss.«
»Zum Schluss?«
Ebba biss sich auf die Lippen. Wie schaffte er es nur, sie aus der Reserve zu locken?
»War es wirklich ein Herzinfarkt?«, versuchte er es wieder. »Ich kann mir das so schlecht vorstellen, trotz seiner Krankheit. Er hatte doch alles unter Kontrolle. Was konnte da einen Infarkt auslösen? Hat er sich über etwas aufgeregt? Wie ist es überhaupt passiert? Am Schreibtisch? Oder zu Hause im Schlaf?«
Wieder stand das Bild ihres toten Bruders zwischen den auf und zu gleitenden Lifttüren vor ihren Augen. Ebba musste schlucken, um den Kloà in ihrem Hals loszuwerden.
Flemmings warme Hand legte sich auf die ihre, die sie schnell fortzog. Sie wollte keine Berührung, nicht jetzt.
Er deutete auf ihren Kopf und lachte leise. »Ihnen stehen die Haare zu Berge«, sagte er. »Als würden Sie ein Gespenst sehen.«
So ähnlich war es auch. Aber das ging ihn nichts an. Andererseits â er war offenbar tatsächlich Georgs Freund gewesen, der einzige, den ihr Bruder jemals gehabt hatte. Vielleicht war es wirklich mehr als bloÃe Neugier, weshalb er sich nach ihrem Bruder erkundigte? Vielleicht war es echte Sympathie?
»Oder es ist im Krankenhaus passiert? Hat er sich doch noch operieren lassen? Entschuldigen Sie, wenn ich nicht lockerlasse, aber es beschäftigt mich seit unserem letzten Gespräch. Georg war mir nicht gleichgültig, auch wenn wir nicht häufig persönlichen Kontakt hatten. Aber wir telefonierten oft. Zum Schluss wirkte er ziemlich nervös.«
»Wann haben Sie zuletzt mit ihm gesprochen?«
»Weihnachten vor seinem Tod.«
»War er da irgendwie verändert?«
»Ja, das ist mir aufgefallen. Ich habe ihn gefragt, ob er etwas hat, weil er so merkwürdig war, aber er hat abgewiegelt.«
Aufgeregt beugte sich Ebba vor. Stieà sie da auf eine erste Spur? »Was meinen Sie mit âºmerkwürdigâ¹?«
»Kurzatmig. Als sei er auf der Flucht.«
»Hat er einen Verdacht geäuÃert?«
»Verdacht? Wovon reden Sie? Was wollen Sie damit andeuten? War es nicht das Herz?«
»Ich weià gar nichts.«
»Wie ist er denn gestorben?«
Sie wollte es ihm nicht sagen. Alles in ihr sträubte sich dagegen. Aber es wäre unhöflich gewesen zu schweigen. «In einem Lift.«
»Was? Er hat Aufzüge doch stets gemieden!«
»Genau.«
»Ah, langsam verstehe ich.«
Flemming lehnte sich zurück und schaute ernst aus dem Fenster. Ebba beobachtete den Mann gespannt, aber er sprach nicht weiter.
»Was verstehen Sie?«, fragte sie schlieÃlich ungeduldig.
»Wie er gestorben ist. Aufzüge haben ihm immer Angst eingeflöÃt. Wahrscheinlich hat er sich zu sehr aufgeregt.«
Für einen Augenblick verlor Ebba die Kontrolle über sich.
»Nein! Das ist es nicht!«, rief sie. »Die Frage ist, warum er überhaupt in den Lift gestiegen ist! Bei seiner Phobie war das doch wie Selbstmord.«
Sie erschrak über das Wort.
Flemming kräuselte die Stirn und wollte etwas erwidern, besann sich jedoch und winkte der Bedienung nach der Rechnung.
»Was wollten Sie gerade sagen?«, hakte Ebba nach.
Er schüttelte den Kopf. »Bei dem Wort Selbstmord ist mir etwas eingefallen, aber ich möchte nicht indiskret sein. Wollen wir gehen?«
»Hat Frau Hilpert Ihnen berichtet, wie meine Schwester gestorben ist?«
Er nickte und presste die Lippen zusammen. »Es geht mich nichts an. Verzeihen Sie bitte.«
»Meine Schwester hat sich bestimmt nicht umgebracht. Sie war vielleicht neurotisch, aber nicht suizidgefährdet. So etwas hätte ich doch gemerkt.«
»Manchmal verbergen die Menschen, wie es wirklich in ihnen aussieht, Frau Seidel. Machen Sie sich keine Vorwürfe. Selbst wenn man etwas ahnt â man kann es auf Dauer nicht verhindern, wenn jemand wirklich aus dem Leben scheiden will.«
»Sie verstehen mich nicht. Niemand wollte freiwillig sterben.«
Seine Augen weiteten sich.
Dann wandte er den Blick ab und sah schweigend auf die Tischplatte, als suche er nach Worten. SchlieÃlich beugte er sich vor und klopfte ihr
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