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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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Tabu!
    Â»Du bist wirklich gekommen«, begrüßte Jörg sie sichtlich erleichtert und zog sie in die unaufgeräumte Wohnung, in der die Luft abgestanden war. Auf dem großen Esstisch hatte er seinen Laptop aufgeklappt, daneben lagen Papierstapel, Notizblock und Kameras sowie mehrere Schwarz-Weiß-Abzüge und Fotokopien von Bildern.
    Ein dicker Knoten schnürte Ebba die Kehle zu, und das bekannte Brausen in ihrem Kopf setzte ein.
    Â»Ich will nichts wissen«, japste sie. »Das habe ich dir schon mehrmals gesagt. Warum lässt du mich mit dem alten Zeug nicht in Frieden?«
    Â»Bitte nicht diskutieren, sondern erst zuhören.«
    Warum ging sie nicht einfach? Warum war sie überhaupt hergekommen?
    Jörg wandte sich ab und kramte in den Papieren, und Ebba nutzte die Zeit, um sich zu fangen. Dabei fiel ihr Blick auf das alte Foto seines Großvaters, das ihr bei einem Besuch ganz am Anfang ihrer Beziehung schon aufgefallen war. Der alte Mann mit der Glatze saß auf einem Sofa, das Ähnlichkeit mit dem hier in Jörgs Wohnzimmer hatte. Die Partie um die müden Augen verriet, dass er zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits schwer krank gewesen war. Bisher war ein großer Teil rechts neben seinem Kopf von einer schwarzen Schleife um den Rahmen bedeckt gewesen. Die fehlte heute und gab den Blick auf etwas Verstörendes frei. Ungläubig trat Ebba näher, hob den Rahmen hoch. Ihre Hand verkrampfte sich.
    Â»Das Bild«, brachte sie nur heraus.
    Jörg hob den Kopf und ließ den Stapel Abzüge fallen, die er gerade in der Hand gehalten hatte.
    Â»Um Gottes willen!«, rief er.
    Â»Das Bild«, wiederholte Ebba verwirrt. »Das, das …« Sie konnte den Blick nicht von dem Gemälde wenden, das auf dem Foto rechts hinter Jörgs Großvater an der Wand hing.
    Rosie hatte es damals getroffen. Georg hatte auf der Straße Hundekot suchen müssen, aber die arme Rosie hatte die Exkremente stundenlang in der hohlen Hand halten müssen, die Fliegen wegscheuchen, ihre Übelkeit bekämpfen, während Bruno seelenruhig »Motiv eins« – wie er diese grauenhaften Untergrundbilder immer nannte – auf die Leinwand bannte. Es war heiß gewesen, Rosies Lippen waren aufgeplatzt, weil sie solch einen Durst hatte, und sie selbst war wenig später in den Schrank gesperrt worden, weil sie Rosie hatte ablösen wollen. In den Schrank hatte Bruno ihr auch den stinkenden Haufen gelegt, direkt vor die bloßen Füße.
    Â»Das Bild!«, stammelte Ebba ein letztes Mal. Sie war sicher, dass sie sich gleich würde übergeben müssen. Dabei sah das Gemälde auf dem Foto so harmlos aus wie eine Moorlandschaft aus der Heimat ihrer Mutter.
    Â»Wieso …«
    Â»Mein Opa und dein Vater kannten sich«, sagte Jörg mit belegter Stimme. »Es wird Zeit, dass du erfährst …« Er stockte. »Nein. Ich fange lieber von vorn an.«
    Er hielt ihr eine alte, etwas undeutliche Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem strammen, blonden Jungen hin.
    Â»Bruno Seidel. Luftwaffenhelfer in Paderborn 1943. Schau mal, wie jung er da ist. Siebzehn.«
    Sie schlug ihm das Bild aus der Hand. »Ich – will – das – nicht!«
    Â»Und hier, ein halbes Jahr später.«
    Er zeigte ihr ein kleines Originalfoto, und sie nahm es ihm unwillkürlich aus der Hand. War das derselbe Junge? Seine Haare waren anders geschnitten, irgendwie weicher, sein Lächeln entspannt, wie sie es später nie an ihm gesehen hatte. Er lehnte sich an einen streng dreinblickenden älteren Offizier, dessen Schultern und Brust mit zahlreichen Abzeichen dekoriert waren.
    Â»Da war er eine Art Adjutant in der Luftwaffenzentrale. ›Stets zu Diensten, Herr Oberst‹, steht auf der Rückseite. Hier, siehst du?«
    Â»Woher hast du das?«
    Er beantwortete ihre Frage nicht. »Fällt dir was auf?«, fragte er stattdessen mit rauer Stimme.
    Â»Ich ahne, worauf du hinauswillst. Deine Fotos zu der Reportage letztes Jahr, in diesem Nachrichtenmagazin zum Thema ›Homosexualität im Dritten Reich‹ … Konstruierst du etwa einen Zusammenhang? Das ist widerlich.«
    Â»Es muss nichts heißen, Ebba. Ich unterstelle nichts. Ich will nur, dass du weißt, wie sein Leben verlaufen ist. Er wurde 1943 als Luftwaffenhelfer eingezogen. Unfreiwillig. Die Kinder sollten die Heimatfront beschützen und feindliche Flugzeugangriffe abwehren. Das allein

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