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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Flecken übersät … Warum erzähle ich Ihnen das? Ah, ja, ich wollte ihnen sagen, wann ich Tony getroffen habe … wenn ich das alles geahnt hätte … Ah, ich habe Kopfschmerzen, aber das kenne ich schon: Sobald ich von meinen Eltern oder von Tony rede, bekomme ich Kopfschmerzen. O mein Gott, aber es ist schon spät, ich muß Virginie ins Bett bringen. Noch etwas Bier?«
    Zeigefinger. Die schäumende Flüssigkeit rinnt durch meine Kehle. Paul ist also nicht Virginies Vater. Und was ändert das? Nichts. Und dieser Tony …? Was mag er nur getan haben, daß sie so von ihm spricht? Vielleicht hat er sie auch geschlagen. Und wo ist er jetzt? Im Gefängnis? Nein, also nun erfinde ich schon wieder Räuberpistolen.
    Sind sie sicher, daß Virginie nichts ahnt? Kinder wissen oft mehr, als man sich vorstellt. Auf alle Fälle war mein Aufenthalt in diesem Haus nicht unnütz. Was ich hier Neues erfahren habe, liefert mir mindestens eine Woche lang Stoff zum Grübeln. Angewidert stelle ich mir diese gutbürgerliche Familie mit dem sadistischen Vater vor … Nach zehn Minuten kommt Hélène zurück:
    »So, fertig. Im Fernsehen gibt es eine Reportage über Kolumbien, interessiert Sie das?«
    Zeigefinger. Warum nicht? Das bringt mich auf andere Gedanken. Also auf zur grünen Hölle, den Drogenkartellen, den Gipfeln der Anden. Aber eigentlich wäre mir eine ausführliche Reportage über Virginies leiblichen Vater lieber …
    »Guten Tag! Oh, aber Sie sehen ja blendend aus! Guten Tag, Hélène! Ging alles gut? Ist es Ihnen nicht zuviel geworden?«
    Yvette! Meine Yvette! Ich könnte ihr um den Hals fallen!
    »Nein, kein Problem. Und wie geht es Ihrem Knöchel?« fragt Hélène.
    »Alles in bester Ordnung. Also wirklich so etwas Dummes …«
    »Und Monsieur Guillaume?«
    »Er wartet im Wagen. Sie wissen ja, wie die Männer sind, immer in Eile …«
    »Ah … na, dann wollen wir ihn nicht warten lassen. Elises Sachen sind gepackt.«
    »Sie sehen müde aus, Hélène. Sind Sie sicher, daß es Ihnen nicht zuviel Arbeit war?«
    »Nein, nein, es ist nur so, daß ich im Augenblick sehr schlecht schlafe … Ich begleite Sie zum Auto.«
    Ich werde nach draußen geschoben, natürlich bin ich froh, wieder nach Hause zu kommen, aber irgendwo tut es mir leid, dieses Häuschen zu verlassen, gerade jetzt, wo Hélène im Begriff ist, mir aufregende Geständnisse zu machen.
    Man hebt mich in den Kombi, der Rollstuhl wird hinten verstaut.
    »Guten Tag, Elise!«
    Jean Guillaumes joviale Stimme. Er drückt meine rechte Hand.
    »Immer noch genauso hübsch!«
    Lachen, freundliches Geplänkel, auf Wiedersehen, bis bald, wir telefonieren. Der Wagen fährt an. Yvette beginnt sogleich, mir den Aufenthalt bei ihrer Cousine bis ins kleinste Detail zu schildern: Der Tenor ihrer ganzen Erzählung – keine besonderen Vorkommnisse.

    Es ist kühl geworden, wir müssen heizen. Yvette entlüftet die Heizkörper, überprüft den Ölbrenner, ergeht sich in Schimpftiraden gegen das Wetter und den verfrühten Kälteeinbruch.
    Sie tauscht mein Baumwoll-Sweat-Shirt gegen einen Pullover. Ich höre zerstreut den Wetterbericht, als der Sprecher plötzlich ankündigt: »Morgen ist der 13. Oktober. Sonnenaufgang um …« Der 13. Oktober! Ein Jahr! Schon ein Jahr! Morgen ist es ein Jahr her, daß Benoît und ich durch diese Glastür in Belfast gehen wollten … Ein Jahr, daß ich mich in eine lebende Tote verwandelt habe. Wie ist das nur möglich? Wie kann die Zeit so schnell vergehen? Ich habe das Gefühl, gerade erst aus dem Koma erwacht zu sein. Aber nein, da waren all diese Kindermorde, all die neuen Bekanntschaften, der Sommer ist wie im Flug vergangen … Mein Gehirn hat die ganze Zeit über wie eine gut geölte Maschine funktioniert. Jetzt muß ich mich bewegen! Ich muß mich bewegen, ich will mich bewegen. Wenn ich diesen verfluchten Zeigefinger rühren kann, ist auch noch ganz anderes möglich. Ein Jahr! Das reicht! Ab morgen denke ich nicht mehr, ich handele!

    Offenbar hilft es. Catherine die Große kann es nicht fassen.
    »Wissen Sie was, Yvette? Ich habe den Eindruck, daß sich ihre Muskeln von Zeit zu Zeit zusammenziehen … Nein, ganz bestimmt, als würde sie sich anspannen. Kommen Sie doch mal her.«
    Wenn du wüßtest, wie ich sie anspanne. Wenn du wüßtest, welche Energie ich aufbringe, um diese verfluchten Muskeln anzuspannen, ich habe das Gefühl, meine Adern platzen bald.
    »Hier, fassen Sie mal an, da und da. Das muß ich unbedingt Raybaud sagen, also ich

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