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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Der Wasserhahn wird wieder zugedreht. Schritte, die auf mich zukommen.
    »Er ist weg. Er ist überzeugt davon, daß Stéphane der Schuldige ist. Nur die Richterin hat Zweifel. Ist das alles ein Durcheinander. Ich weiß noch, wie wir vor sieben Jahren beschlossen haben hierherzuziehen. Die Ruhe, das Landleben, die Lebensqualität … Was für ein Unsinn.«
    Sie scheint einen Augenblick zu überlegen, dann fährt sie fort:
    »Wissen Sie, ich habe mir oft die Frage gestellt, was mein Sohn tun wird, wenn er groß ist. Ich weiß auch nicht, warum, aber ich habe ihn immer mit wehendem Haar am Ruder eines Segelschiffs gesehen …«
    »Mein Sohn«, sie muß wirklich an ihm gehangen haben, als wäre es ihr eigenes Kind gewesen …
    »Und doch hatte ich in meinem tiefsten Inneren eine böse Vorahnung, eine fürchterliche Vorahnung des kommenden Unglücks. Vielleicht, weil er ein Junge war. Jungen sterben häufiger als Mädchen, sie sind anfälliger. Eigentlich hatte ich immer Angst um ihn, ganz so, als schwebe eine schlimme Bedrohung über ihm, eine Gefahr, die im Schatten lauert. Und ich hatte recht. Man hat ihn mir genommen.«
    Sie holt Luft. Ihr Atem geht ganz ruhig.
    »Irgendwann steht man plötzlich vor den Trümmern seines Lebens. Doch was kann man dafür? Niemand ist Herr über sein Schicksal, nicht wahr? Hätten Sie jemals gedacht, daß Ihnen so etwas zustoßen könnte? Diese Stadt bringt Unglück, genau das ist es. Wir müssen weg von hier. Paul sagt, das sei unmöglich. Er hat Angst, anderswo keinen so interessanten Posten zu finden. Er verkauft lieber seine Seele, als etwas weniger zu verdienen. Er weiß nicht, was er tut. Ich glaube, im Grunde verabscheue ich ihn. Ja, ich glaube, ich verabscheue ihn schon seit einer geraumen Weile. Das kommt oft vor, nicht wahr? Man glaubt jemanden zu lieben und dann fällt einem auf, daß man ihn eigentlich verabscheut. Wie spät ist es? Mein Gott, die Zeit vergeht so schnell, wenn man keine Hoffnung mehr hat. So, jetzt ziehe ich Sie erst mal an.«
    Während sie sich ungeschickt abmüht, summt sie nervös und schrill eine Melodie vor sich hin, die ich nicht kenne. Mein unbeweglicher Körper muß schwer sein. Ich versuche, mich leicht zu machen. Dies Gesumme, das Fröhlichkeit vortäuschen soll, ist erbärmlich, die arme Hélène steht wirklich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. So, ich bin angezogen. Auf ins Eßzimmer.

    Gedrückte Stimmung beim Mittagessen, es gibt einen Rest Püree und tiefgefrorene Fischstäbchen. Ich habe keinen großen Hunger. Hélène sagt kein Wort, sie summt noch immer diese nervtötende Melodie, während sie mir den Löffel in den Mund schiebt. Ihre Bewegungen zeugen von innerer Zerrissenheit und Angespanntheit, ich habe den Eindruck, daß es ihr wirklich sehr schlecht geht. Um die lästige Aufgabe zu erleichtern, kaue ich möglichst schnell. Kein Käse, kein Dessert, nur Kaffee. Stark, schwarz und wohlschmeckend, aber viel zu heiß. Ich verbrenne mich, ohne daß ich protestieren könnte. Und hopp, los geht’s.

    Ich hoffe, daß Yvette bald wieder gesund ist, damit ich nach Hause kann. Vor allem, seit ich gehört habe, daß Paul mich für eine Spionin hält. Der Rollstuhl bleibt abrupt stehen. Was ist denn nun wieder?
    »Hélène! Ich wollte Sie gerade anrufen!«
    Ah, Miss Perfekt alias Claude Mondini, die mit gedämpfter Stimme eilig hinzufügt:
    »Heute morgen war ein Inspektor bei mir, um mich über Sophies Privatleben auszufragen … Natürlich habe ich ihm gesagt, ich wüßte nichts. Jeder hat schließlich ein Recht, sein Leben zu leben, stimmt’s? Und wenn ich daran denke, was sie Stéphane vorwerfen! Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan, Jean-Mi mußte mich geradezu bedrängen, eine Schlaftablette zu nehmen. Das ist wirklich furchtbar, furchtbar!«
    Dann lauter:
    »Sie kümmern sich jetzt um Elise?«
    »Yvette hat sich den Knöchel verstaucht …«
    »Ach ja, das habe ich bei allem, was hier vor sich geht, ganz vergessen. Übrigens, am Sonntag ist die Schnitzeljagd der Jugendlichen von Saint-Jean, Sie müssen unbedingt kommen, das wird super, wenn Sie wollen, kann ich ein wenig mit Elise Spazierengehen und sie dann hinterher in die Bibliothek bringen.«
    »Warum nicht? Haben Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang, Lise?«
    Mit dieser Quasseltante? Nein danke! Kein Zeigefinger.
    »Sie schläft vielleicht. Hören Sie, ich vertraue sie Ihnen an. Bis gleich und danke, ich muß mich beeilen, ich bin spät dran«, entschließt sich

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