Im Dunkel der Waelder
Hélène.
Hiiilfe!
»Elise? Elise huuhu, ich bin es, Claude, hören Sie mich?«
Resignierter Zeigefinger.
»Wir werden einen schönen Spaziergang machen. Wo es endlich mal nicht regnet. Außerdem brauche ich Bewegung, ich bin so nervös … Hélène sieht recht mitgenommen aus, um zehn Jahre gealtert. Jean-Mi hat gestern Abend Paul getroffen, er macht sich große Sorgen um sie, er hat Angst, daß sie in eine Depression verfällt … Wenn man bedenkt, daß Stéphane ihr bester Freund war, und daß er … den armen kleinen Renaud … und all die anderen … Und ich habe ihn am Steuer des weißen Kombi gesehen, und nicht eine Sekunde daran gedacht, daß … Die Polizei sagt, es sei der Wagen gewesen, mit dem sein Vorarbeiter zu den Baustellen fuhr. Jeder fand es ja normal, daß er ihn auch benutzt. Die Baustellen sind so schmutzig, er kann ja schließlich seinen BMW nicht jeden Tag waschen … Der Inspektor hat mir gesagt, daß sie den Kombi genauestens untersuchen. Vor allem den Kofferraum … Jean-Mi will nicht, daß ich darüber rede, er sagt, ich sei zu sensibel, aber es nutzt nichts, die Augen zu verschließen. Und die arme Sophie … ihretwegen habe ich gelogen.«
Dann flüstert sie dramatisch:
»Ihnen kann ich es ja sagen, ich weiß schon lange, daß sie jemanden hatte.«
Ich hatte also recht! Ich hatte schon wieder recht! Zum Teufel, übertragt mir doch die Ermittlungen!
»Ich habe sie eines Tages in ihrem Wagen gesehen, im Wald bei Futaie. Ich war dort, um die Piste für das BMX-Rennen am Palmsonntag abzustecken. Es war drei oder vier Uhr nachmittags. Zuerst habe ich nur den Wagen gesehen, der hinter einem kleinen Wäldchen geparkt war und gleich an ein Liebespaar gedacht. Natürlich habe ich mich diskret verhalten, und dann habe ich Sophies Peugeot 205 erkannt. Zunächst habe ich mir nichts Böses gedacht, aber ich hatte ein eigenartiges Gefühl, eine Art Schauder, verstehen Sie … Da die Sonne auf die Scheiben schien, konnte ich nicht sehen, was im Inneren vor sich ging. Normalerweise hätte ich hingehen und sie begrüßen müssen, aber irgend etwas hat mich zurückgehalten, sicherlich meine Intuition, es ist wirklich unglaublich, wie intuitiv ich handle. In diesem Augenblick hat sich die Beifahrertür geöffnet, er ist ausgestiegen, hat mit den Händen sein Haar in Ordnung gebracht und sich an einem Baum erleichtert. Ich fand das unglaublich ordinär, aber auf alle Fälle hab ich mich gefragt, was er da mit Sophie im Auto tat. Ohne Schlechtes über seinen Nächsten sagen zu wollen, ist es doch manchmal so, daß man nicht umhin kann, gewisse Schlußfolgerungen zu ziehen, nicht wahr? Ich habe natürlich keinen Muckser von mir gegeben. Er ist wieder eingestiegen, und sie sind ganz dicht an mir vorbeigefahren, ohne mich zu sehen. Ich hockte in den Brennnesseln, ich sage Ihnen nicht, ich habe mich vielleicht verbrannt, aber auf alle Fälle konnte ich sie aus nächster Nähe sehen: Sophie mit einem glückseligen Lächeln und er mit dem befriedigten Gesicht einer Bestie … Das hätte ich nie von ihm gedacht.«
Aber von wem, verdammt noch mal?
»Ich habe Jean-Mi nichts davon erzählt, ich wollte ihn nicht belasten, aber wir haben uns mit voller Absicht immer weniger gesehen. Ich muß ja schließlich nicht zur Komplizin ihres Verhaltens werde. Wenn ich daran denke, Sophie und Manu, das ist doch wirklich grotesk …«
Manu? Hat sie Manu gesagt? Aber was hat denn der jetzt in dieser Geschichte verloren? Wir brauchen nicht Manu, sondern Paul, du mußt dich irren!
»Und die arme Betty, die glaubt, mit Weizenkleie ihre geistige Leere füllen zu können, sie hätte besser daran getan, auf ihren Mann zu achten. Ich fand schon immer, daß er einen stechenden Blick hat, wie Rasputin, und mit diesem schwarzen Bart … brrrr … Aber ich schwatze und schwatze, ich langweile Sie sicher!«
Aber nein, absolut nicht, ausnahmsweise faszinierst du mich mal, los, go on.
Aber nein, sie redet von Bäumen, von fallendem Laub, vom kommenden Winter, von Zwiebelschalen, die auf die bevorstehende Kälte hinweisen, vom Krieg in Jugoslawien, von der Hungersnot in Afrika, von der Schwierigkeit, Kleidung und Medikamente zu sammeln, von der Kälte der Menschen, von ihrer mangelnden Sensibilität, und ich denke immer wieder ›Manu und Sophie, Manu und Sophie‹, wie bei einem Mantra, das mir die Erkenntnis bringen soll.
Nach solchen Tagen sehne ich mich nach Ruhe und nach meinem Zuhause, vor allem seit ich weiß, daß Paul mich
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