Im Dunkel der Waelder
einen großen weißen Kombi vom Parkplatz fahren sehen. Alle sind davon überzeugt, daß Migoin der Mörder war. Die andere, einzig mögliche Erklärung wäre, daß jemand ohne sein Wissen seinen Wagen benutzt hat beziehungsweise den Firmenwagen, mit dem er auf die Baustellen führ. Aber nur jemand, der ihn gut kannte, hätte ihn sich ausleihen können. Der Baustellenleiter hat ein wasserdichtes Alibi und die Arbeiter ebenfalls. Ich fragen Sie also: Hatte Sophie Migoin einen Liebhaber?«
Zeigefinger.
»Wissen Sie, wer es war?«
Abgewinkelter Zeigefinger.
»Gut, ich werde Ihnen einige Namen aufzählen. Heben Sie bitte bei dem, der Ihnen in Frage zu kommen scheint, den Zeigefinger. Jérôme Leclerc. Jean-Michel Mondini. Luc Bourdard. Christian Marane. Manuel Quinson.
Zeigefinger.
»Aha! Offenbar sind Sie immer bestens informiert. Meine Besuche bei Ihnen sind wirklich keine Zeitverschwendung. Sie sind sozusagen die Miss Marple von Boissy-les-Colombes. Das Problem ist, daß Manuel Quinson zum Zeitpunkt des Mordes an dem kleinen Golbert auf Geschäftsreise war. Er befand sich auf einem Fortbildungsseminar in Paris. Dort hat er den ganzen Tag mit fünfundzwanzig anderen leitenden Angestellten im Hauptsitz seiner Firma verbracht. Ich habe viel Mühe darauf verwandt, die Alibis der Menschen, mit denen die Fanstens, Virginie und Sie selbst regelmäßig zu tun haben, zu überprüfen. Denn ich bin sicher, daß sich der Schuldige in diesem kleinen Kreis befindet. Die einzigen, die tatsächlich die Möglichkeit gehabt hätten, den Mord zu begehen, sind Jean-Michel Mondini, Paul Fansten und Jean Guillaume. Das sind, wenn ich so sagen darf, meine Favoriten. Nicht zu vergessen natürlich den verstorbenen Stéphane Migoin. Sie scheinen verblüfft, das ist verständlich, denn die Vorstellung, daß eine Ihnen nahestehende Person ein gefährlicher Geisteskranker ist, ist nicht besonders angenehm. Die Ermittlungen werden demnächst abgeschlossen, und wir werden gezwungen sein, von Stéphane Migoins Schuld auszugehen, alle Beweise deuten darauf hin. Doch mich befriedigt diese Lösung nicht. Das wollte ich Ihnen nur sagen. Und ich glaube ernsthaft, daß wir einen gefährlichen Mörder weiterhin frei herumlaufen lassen. Ich wäre sehr dafür«, fährt er mit seiner ruhigen Stimme fort, »daß Sie den Winter anderswo verbringen. Zum Beispiel bei Ihrem Onkel. Aber die Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen. So, diese kleine Unterhaltung war mir ein Vergnügen. Ich darf mich jetzt verabschieden.«
Eigenartige Auffassung von einer Unterhaltung, aber nun, ich will ja nicht kleinlich sein.
»Auf Wiedersehen, bis bald. Auf Wiedersehen, Madame«, ruft er in Richtung Küche, ohne eine Antwort zu bekommen.
Die Tür wird geschlossen. Ich bleibe zurück und gehe immer wieder die drei Namen durch. Jean-Mi, Paul, Jean Guillaume. Einer von ihnen. Und er läuft frei herum. Paul! Alles spricht gegen Paul.
Wenn ich nur nicht an diesen Rollstuhl gefesselt wäre, wenn ich noch ich selbst wäre, ich würde in ihrer Vergangenheit herumstöbern, denn ich bin sicher, daß dort die Lösung liegt. Man wird nicht zufällig zum geisteskranken Mörder. Jean-Michel Mondini, das ist lächerlich … Aber schließlich hat mir seine Frau erzählt, daß Sophie ein Verhältnis mit Manuel hatte. Und wenn sie gelogen hat? Wenn Sophie mit Jean-Mi geschlafen hat?
»Vergessen Sie Ihre Übungen nicht!« ruft mir Yvette zu und reißt mich aus meinen Überlegungen.
Catherine die Große hat mir eine ganze Reihe von Übungen aufgegeben, die ich dreimal täglich eine halbe Stunde lang absolvieren soll. Mich auf jeden Teil meines Körpers konzentrieren und versuchen, ihn zu fühlen. Mir meine Zehen vorstellen, meine Waden, meine Schenkel und so weiter, in jedem Körperteil das Blut, die Muskeln, die Haut spüren und Impulse aussenden: »Beweg dich!« Also los.
11
Jean Guillaume und Yvette trinken nach dem Essen ihren Kaffee und sehen sich eine Unterhaltungssendung im Ersten Programm an. Von Zeit zu Zeit höre ich Jean Guillaume über die Possen eines Imitators lachen. Er hat ein angenehmes Lachen. Nicht das Lachen eines Geistesgestörten. Halten Yvette und er Händchen? Umarmen sie sich? Ist sie seine Geliebte? Sie können vor meiner Nase machen, was sie wollen, ich kann sie ja nicht sehen. Yvette und Jean Guillaume, die sich inmitten der schmutzigen Teller auf dem Tisch wälzen und von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Mehlsack im Rollstuhl werfen … Nein, nicht meine
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