Im Dunkel der Waelder
Was ist denn das? Das sieht ja aus wie … Verdammt noch mal, das ist doch nicht möglich …«
O doch mein Junge, es ist möglich. Ich höre, wie er mit irgend etwas herumhantiert, dann ein Piepsen, anscheinend hat er ein Handy dabei.
»Hallo, hier Gassin. Ja, gib mir Mendoza. Es ist dringend … Wie, auf dem Klo? Gut, ich warte.«
Wir warten schweigend, er trommelt nervös auf dem Bettpfosten herum.
»Mendoza …? Hör mal, das ist mir völlig egal, ich hab’ hier vielleicht was Komisches entdeckt …! Ich bin im Krankenhaus bei der Andrioli … Ja genau. Du erinnerst dich, daß man uns gesagt hat, ein Mann habe den Krankenwagen gerufen, ein Unbekannter. Gut, in ihrem Zimmer steht ein Päckchen, zugestellt durch … warte mal … ›Express Kurierdienst, Place Thiers 25, Saint-Amboise‹, und in dem Päckchen befinden sich eine Perücke, ein falscher Schnurrbart und eine Hornbrille. Und weißt du, was? Es ist dieselbe Brille wie die vom Chef! Und derselbe Bart … Aber nein, das ist kein Witz …
Schick sofort jemanden zu diesem Express Kurierdienst, verstanden …? Nein, sie hätte es nicht sehen können, sie ist blind … Aber niemand kannte Yssart, Kommissare sind schließlich keine Stars. Er brauchte ihm ja nur in etwa ähnlich zu sehen … Okay, bis gleich!«
Nach einer Weile wendet er sich an mich:
»Entschuldigen Sie, ich habe nur im Büro Bescheid gegeben. Hat Ihnen eine Krankenschwester das gebracht?«
Handheben.
»Das ist doch wirklich unglaublich! Und eine so alberne Geschichte muß ausgerechnet mir passieren! Damit werde ich zum Gespött der ganzen Abteilung, nein, also stellen Sie sich das doch mal vor! Das gibt’s doch gar nicht!«
Er beruhigt sich, räuspert sich wütend.
»Gut, ich muß gehen. Das Paket nehme ich mit. Ich werde einen Polizisten als Wache vor Ihrem Zimmer postieren, man weiß ja nie.«
Ah, endlich versteht er, daß das nicht einfach ein Überfall war.
»Ich halte Sie auf dem laufenden.«
Er verläßt das Zimmer, und ich höre ihn auf dem Gang einige knappe Sätze mit der Schwester wechseln.
Könnte der Mann, der sich für Yssart ausgegeben hat, die Kinder getötet haben? Seine Stimme und seine Intonation waren mir sympathisch. Hätte ich es nicht spüren müssen …? O nein, ich werde nicht schon wieder alles gegeneinander abwägen. Ich bin sicher, die Ermittlungen werden jetzt zügig vorangehen.
Groß, dunkelhaarig. In etwa, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Vielleicht sind die Gesichter, die ich den Menschen dem Klang ihrer Stimme nach zuordne, doch nicht so falsch.
Seit dem Vormittag war niemand mehr da. Ruhe. Endlich habe ich meine Ruhe. Ich träume vor mich hin. Ich stelle mir vor, ich wäre in der Karibik, läge an einem feinen Sandstrand und spürte die warmen Sonnenstrahlen auf meiner gebräunten Haut. Ich höre das träge Plätschern der Wellen. Draußen auf dem Meer schaukelt ein weißes Segelschiff, es duftet nach gegrillten Langusten … Mhmm, jetzt wäre ein kühler Drink recht. Und schon halte ich einen eisgekühlten Drink in der linken Hand, einen guten Krimi in der rechten, ahh, ist das angenehm … Glühende Hitze, eine kleine Siesta, weit weg von der grauen Vorstadt mit ihren menschlichen Ameisen, die aufgeregt hin- und herhasten, sich mit grauenvollen Fragen und düsteren Antworten quälen … Ich will in der Karibik bleiben! Das Problem ist nur, daß Träume Schäume sind! Die Sonne wärmt mich nicht, ich höre nicht das Plätschern der Wellen, sondern nur das Surren des Monitors auf dem Nachtkästchen, und der Drink besteht aus drei Tabletten und einem Schluck lauwarmem Wasser alle zwei Stunden.
Unmöglich, ich kann nicht in der Karibik bleiben, denn ich kann nicht aufhören zu grübeln: Hat Jean Guillaume mir eine manipulierte Kassette gebracht? In diesem Fall wäre er der Mörder. Was ich nicht verstehe, ist, warum er mich angegriffen hat. Kommissar Yssart war ein falscher Kommissar. Warum hat sich der echte nie bei mir blicken lassen? Weil ich für seine Ermittlungen völlig uninteressant war. Nur der falsche Yssart hat einen Zusammenhang zwischen mir, Virginie und den Morden gesehen. Das bringt mich auf eine andere Frage: Warum hat er sich als Kommissar ausgegeben? Wer mag dieser Typ sein? Entweder ist er der Mörder oder … wer? Ein Journalist auf der Suche nach einer Sensationsstory? Ein von der Familie eines der Opfer engagierter Privatdetektiv? Auf jeden Fall können nicht Jean Guillaume und Yssart der Mörder sein. Wenn sich nur
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