Im Dunkel der Waelder
Ich spüre, wie meine Hand krampfhaft die Bettdecke sucht. Die Bettdecke ist real. Meine Hand. Sie schließt sich, sie klammert sich an der Bettdecke fest. Phantastisch.
»Seht mal! Elise kann die Hand schließen«, verkündet Virginie triumphierend.
»Wir müssen Raybaud Bescheid sagen! Schwester!«
Yvette läuft aufgeregt hinaus.
»Das mit dem Kommissar tut mir leid, aber Gassin zufolge wäre der alte Herr sowieso nicht mehr lange im Dienst geblieben. In einigen Monaten sollte er in Rente gehen. Ehrlich gesagt hatte ich den Eindruck, daß Gassin ihn ein wenig kritisierte, er fand ihn zu ›weich‹, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Yssart? Er soll sechzig Jahre alt gewesen sein? Mit der Stimme?
»Ich habe der Schwester gesagt, sie soll Raybaud verständigen. Bei all diesen Geschichten weiß man gar nicht mehr, woran man ist«, bemerkt Yvette bedrückt. »Und jetzt auch noch der Kommissar … Auf dieser Stadt lastet anscheinend wirklich ein Fluch!«
»Nun, nun, es kommen auch wieder bessere Zeiten, zwangsläufig. Irgendwann geht es wieder aufwärts«, meint Paul tröstend. »Außerdem, der Kommissar, in seinem Alter, das ist etwas anderes … Das ist doch nicht so ungewöhnlich, er war sicher überarbeitet.«
»Das stimmt, und seinem gelblichen Schnurrbart nach zu urteilen hat er geraucht wie ein Schlot«, pflichtet Yvette bei.
Aber er roch nie nach Tabak. Das ist ganz unmöglich. Sie sprechen nicht von Yssart.
Ich hebe die Hand.
»Ja, Elise? Sie wollen uns etwas sagen?« erkundigt sich Paul.
Ich balle und öffne die Faust und versuche, seitlich mit dem Arm auszuholen. Ich will einen Stift! Papier und einen Stift! Mein Arm schnellt steif zur Seite und schlägt gegen irgendeinen Gegenstand, der polternd zu Boden fällt.
»Lise, Vorsicht!«
Splitterndes Glas. Flüstern: »Sie ist nervös … besser nicht vom Kommissar sprechen … die Krankenschwester rufen …«
Ja, ja, ruft die Schwester! Verdammt noch mal, ich will doch nur verstehen, was hier vor sich geht!
Die Schwester kommt, sammelt die Scherben ein und gibt mir eine Spritze.
»Sie müssen vorsichtig sein, Sie dürfen sich nicht so aufregen.«
Ich verstehe die unterschwellige Drohung sehr gut: »Sonst bekommen Sie eine höhere Dosis Beruhigungsmittel.«
»Kommen Sie, Sie sollten jetzt gehen, sie braucht Ruhe.«
Sie verlassen schweigend das Zimmer. Mein Arm schmerzt. Ich presse die linke Hand noch ein- oder zweimal zusammen und stelle mir vor, daß ich dem Mistkerl, der an mir herumgesäbelt hat wie ein Metzger, die Kehle zudrücke. Das tut gut. Wenn diese verflixte Hand endlich einen Stift halten kann, werde ich mit den anderen kommunizieren können. Ich fühle mich matt. Sicher die Spritze … matt, so matt …
Ich wache auf, schlafe wieder ein, werde von Albträumen geplagt, bin schweißgebadet und bekomme wieder ein Beruhigungsmittel verabreicht. Mindestens zwei Tage lang schlage ich mich in meinem Wattekokon, durch den die Außenwelt nur gedämpft zu mir vordringt, allein mit meinen Ängsten herum. Undeutlich nehme ich eine Stimme wahr:
»Für Sie ist ein Päckchen abgegeben worden.«
Ein Päckchen? Kann ich nicht öffnen, zu müde, wie spät ist es? Ist es Tag oder Nacht? Ich friere, ich schwitze. Ich will aufwachen, meine Beine bewegen, mich am Fuß kratzen. Ich will laufen! Ich bin völlig erschöpft. Muß schlafen. Tief und traumlos schlafen. Schlafen.
Heute bin ich viel klarer. Ich bin darauf bedacht, ruhig zu wirken, bewege die Hand nur, wenn man mich etwas fragt, und das scheint Früchte zu tragen. Ich muß viel trinken, man setzt mich, von Kissen gestützt und von einem Gurt gehalten, im Bett hin. Übungen gegen das Wundliegen, das kenne ich ja schon. Ich lasse alles mit mir geschehen, öffne und schließe die Hand, hebe den Arm, wenn man mich dazu auffordert. Man lobt mich für mein Können und läßt mich in Ruhe. Und schon verfalle ich wieder in meine düsteren Gedanken.
Yssart tot. Das ist doch nicht möglich! Er kann nicht tot sein und mit mir sprechen! Oder Virginie hat die Wahrheit gesagt und die Toten laufen herum und beobachten uns. All die toten Kinder mit ihren leeren Augen um mich herum … Und Benoît mit durchgeschnittener Kehle … der sich zusammen mit ihnen über mich lustig macht … Und Yssart, ein hochgewachsener Toter mit langen Pianistenfingern und sanfter Stimme. Unmöglich. Einen Stift. Wenn ich nur einen Stift hätte …
»Soll ich es öffnen?«
Diese blöde Krankenschwester hat mich
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