Im Dunkeln der Tod
Toröffnung schmückte die Abendzeitungen. Und da so ungefähr alle Schweden einmal in ihrem Leben in den Sommerferien Gotland besucht hatten, erregte das Foto die Gemüter sehr. Johan hatte schon am Morgen gesehen, dass der Mord auch in den Fernsehnachrichten an erster Stelle kam. Max Grenfors hatte direkt senden wollen, aber die höheren Chefs der landesweiten Nachrichten hatten ihn zurückgehalten, da sie glaubten, dass es noch mehr Material geben müsse.
Johan fuhr auf den Parkplatz vor dem Sendegebäude in der Östra Hansegata und stellte den Wagen in der für die Regionalnachrichten reservierten Bucht ab. Die Redaktionen waren früher in einem kleinen Haus innerhalb der Stadtmauer untergebracht gewesen, waren dann aber in die Räumlichkeiten der stillgelegten Militärniederlassung A 7 gezogen. Das Gebäude war ursprünglich als Stall für die Pferde der Militärs genutzt worden, und der Architekt hatte das in der Einrichtung wiedergeben wollen. Es war den Türen, den Pfeilern und den breiten Wandtäfelungen anzusehen. Fast alles war in den Farben Braun und Weiß gehalten. Alles war elegant durchgeführt, und die meisten schienen mit dem Umzug zufrieden zu sein, auch wenn die Redaktion nicht mehr so zentral lag wie vorher. Die Regionalnachrichten hatten zwei Räume im zweiten Stock mit Blick auf einen Park erhalten. Pia saß vor einem Computer und schaute kurz auf, als Johan die Redaktion betrat.
»Hallo«, sagte er. »Ist etwas Neues passiert?«
»Nein, aber sieh dir das hier an.« Eifrig deutete sie auf einen Stuhl neben sich. »Jede verdammte Zeitung hat mein Bild übernommen. Hast du das schon gesehen?«
Sie klickte die Homepages von einigen Zeitungen durch. Der arme Egon Wallin schmückte überall die Titelseiten.
»Oh verdammt«, sagte Johan angewidert. »Moralisch sauber ist das nicht. Sogar Grenfors hatte diesmal ausnahmsweise Zweifel.«
»Ja, aber zugleich ist es ein verdammt gutes Bild«, murmelte Pia, ohne die Blicke vom Bildschirm zu nehmen.
»Aber denk doch an die Angehörigen. Was glaubst du, wie toll seine Kinder es finden, dass die Zeitungen im ganzen Land ihren toten Vater auf der ersten Seite haben? Und warum machst du eigentlich Fotos, wo du doch filmen sollst?«
Pia seufzte tief und sah zu Johan auf.
»Vergiss nicht, dass ich freelance arbeite. Ich habe immer einen Fotoapparat bei mir. Und jetzt konnte ich ein Bild aus einem Winkel machen, wie das sonst niemand geschafft hat. Herrgott, es ist bestimmt leicht, tugendhaft und rücksichtsvoll zu sein, wenn man ein festes Monatsgehalt bezieht. Ich muss Rechnungen bezahlen. Von diesem Bild hier kann ich mehrere Monate leben. Und natürlich ist mir ja klar, dass das hier für die Angehörigen verdammt hart sein muss. Aber wir arbeiten für eine Nachrichtenredaktion, und wir können nicht dauernd auf Kosten der Berichterstattung Rücksicht auf alle Beteiligten nehmen. Ich finde das Bild okay, man sieht schließlich nur den Körper von der Seite und nicht das Gesicht. Kein Mensch kann ihn wiedererkennen. Und außerdem sind die Kinder erwachsen.«
»Keine Außenstehenden, nein«, sagte Johan trocken. »Hat Grenfors von sich hören lassen?«
Er wollte das Thema wechseln und diese Diskussion beenden. Johan mochte Pia sehr, aber in ethischen Fragen gingen ihre Ansichten sehr weit auseinander, und er hätte genauso gut gegen eine Steinmauer anrennen können. Das Schlimmste war, dass die Redakteure, mit Grenfors an der Spitze, die Dinge meist so sahen wie Pia. Der Mensch, um den es ging, kam viel zu oft erst an zweiter Stelle, fand Johan, der noch immer der Meinung war, dass man Nachrichten übermitteln konnte, ohne Menschen zu nahe zu treten. Außerdem war er als Reporter verantwortlich für den Inhalt, und sein Name wurde unten am Bildschirmrand gezeigt.
Wenn bei den Diskussionen die Wellen besonders hoch schlugen, schrie Grenfors Johan an und nannte ihn einen verdammten Konsequenzjournalisten, was bedeutete, dass er viel zu sehr darüber nachdachte, welche Folgen seine Berichterstattung nach sich ziehen könnte.
Innerhalb der Journalistik gab es eine Schule, die Konsequenzneutralität vertrat und zu der Grenfors sich rechnete, Johan aber sah das anders. Er fand, Journalisten trügen auch dann noch Verantwortung, wenn das Interview veröffentlicht worden war. Nicht zumindest in der Kriminaljournalistik, wo oft die Opfer und ihre Angehörigen in den Reportagen auftraten. Diese Verantwortung betraf vor allem das Fernsehen mit seiner enormen
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