Im Dunkeln der Tod
können wir nur mit Bildern berichten, da wir doch fürs Fernsehen arbeiten«, erklärte Johan. »Können wir wenigstens ein paar Filmaufnahmen in der Galerie machen?«
Grenfors würde nicht zufrieden sein, wenn sie keine Interviews bekamen. Johan hatte sich außerdem hartnäckig geweigert, dem Wunsch seines Chefs entgegenzukommen und die frischgebackene Witwe um ein Interview zu bitten. Das überschritt für ihn eine Grenze.
KRIMINALINSPEKTORIN KARIN JACOBSSON war der Mensch, der Knutas bei der Arbeit am allerwichtigsten war. Sie arbeiteten seit fünfzehn Jahren zusammen. Sie war eine scharfsinnige, tüchtige Polizistin, aber vor allem war es Karins Persönlichkeit, die ihm von Anfang an gefallen hatte. Sie war charmant, lebhaft und energisch, hatte immer eine eigene Meinung, und er hatte noch nie eine Person getroffen, die so geradeheraus gewesen wäre. Zumindest, so lange es um die Arbeit ging. Sie war hübsch, ziemlich klein und dunkelhaarig und hatte braune Rehaugen. In ihrer Freizeit spielte sie Fußball, und das war ihrem muskulösen Körper anzusehen. Ihr besonderes Kennzeichen war die große Lücke zwischen ihren Vorderzähnen, die zum Vorschein kam, wenn sie lachte. Karin trug fast immer Jeans und Pullover, und wenn sie im Sommer ein seltenes Mal im Kleid zur Arbeit kam, hoben sich die Augenbrauen. Sie war neununddreißig, sah aber jünger aus und war Single, zumindest war Knutas nichts anderes bekannt. Wenn sie eine Beziehung hatte, dann behielt sie diese für sich, was in einer kleinen Stadt wie Visby aber fast unmöglich war.
Ihre Eltern wohnten in Tingstäde, und sie besuchte sie ab und zu. Karin hatte etwas Geheimnisvolles an sich, aus dem er nicht schlau wurde.
Jetzt saßen sie in seinem Zimmer beim Kaffee und überlegten sich ein denkbares Motiv für den Mord an Egon Wallin.
»Es ist seltsam, dass der Künstler und sein Agent gleich am Morgen nach dem Mord nach Stockholm gefahren sind, aber das kann natürlich eine ganz einfache Erklärung haben«, sagte Karin. »Vielleicht war das schon länger geplant.«
»Ja, ich hoffe, wir können sie heute noch erreichen, um diese Frage zu klären. Aber es lässt sich doch nicht leugnen, dass es ein verdammt seltsamer Zufall ist, dass sie gerade mit Egon Wallins ärgstem Konkurrenten zusammen geflogen sind, der noch dazu früher versucht hat, sich Mattis Kalvalis zu krallen.«
»Sicher, aber wie viele Flüge nach Stockholm gibt es sonntags?«, meinte Karin. »Das hat vielleicht nichts miteinander zu tun. Ich finde, wir müssen uns vor allem fragen, warum Egon Wallin mitten in der Nacht das Haus verlassen hat. Welcher normale Mensch kommt mit seiner Frau gegen elf von einem Fest zurück und beschließt dann plötzlich, noch einen Spaziergang zu machen? Außerdem war es Samstagnacht schweinekalt. Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, ist, dass er jemanden treffen wollte. Ein Rendezvous also.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber wer ist diese Geliebte, und wo hält sie sich auf? Und warum lässt sie nichts von sich hören? Egon Wallin ist nicht mit dem Auto gefahren und hat sich auch kein Taxi kommen lassen, das haben wir schon überprüft. Er muss also zu Fuß von zu Hause losgegangen sein, und dann ist ihm sein Mörder entweder auf der Straße begegnet, oder er wurde im Haus seiner Geliebten umgebracht.«
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, warf Karin ein. »Die Geliebte hat vielleicht einen Mann, der ihr auf die Schliche gekommen ist und Egon Wallin deshalb umgebracht hat.«
»Wenn es nicht die Geliebte selbst war«, konterte Knutas. »Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass eine Frau einen Leichnam da oben hätte aufhängen können. Jedenfalls nicht ohne Hilfe, meine ich.«
Knutas wurde von einem heftigen Niesen unterbrochen. Er putzte sich sorgfältig die Nase und fügte hinzu:
»Ja, mein Gott, wir können spekulieren, bis wir schwarz werden, aber das bringt uns nicht weiter.«
Karin trank den letzten Schluck Kaffee und erhob sich.
»Was ist eigentlich mit dir«, fragte Knutas, »wie geht es dir?«
Er beobachtete sie aufmerksam. Etwas belastete sie, das spürte er jetzt schon seit Tagen. Sie ist wirklich reizend, dachte er, als er ihre Unschlüssigkeit sah.
Als sie bei der Visbyer Polizei angefangen hatte, war er eine Zeit lang ein klein wenig in sie verliebt, aber dann hatte er Line kennengelernt und sein keimendes Interesse an Karin vergessen.
Knutas fiel es schwer zu erkennen, was sie dachte und wie sie
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