Im Dunkeln der Tod
dem Staat hinterlassen. Du musst es dir bei deinem nächsten Besuch in Stockholm unbedingt ansehen«, sagte Karin enthusiastisch. »Die Gräfin hatte vier Töchter, eine davon war Ellen, die einen hohen Militär heiratete, nämlich Henrik de Maré. Sie hatten einen Sohn, Rolf, und zogen nach Berlin, als Henrik dort zum Militärattaché ernannt wurde. Der Sohn brauchte einen Hauslehrer, und Ellen stellte einen jungen Mann namens Johnny Roosval an. Und dann verliebten Ellen und Johnny sich ineinander. Er war zwölf Jahre jünger und einfach ein Niemand, und sie war doch eine Dame aus der besten Gesellschaft. Also Bühne frei für das klassische Drama. Ellen pfiff auf die Konventionen, sie ließ sich von ihrem hohen Militär scheiden und heiratete den jungen Johnny Roosval!«
Karin hob zufrieden die Hände, während Knutas noch immer aussah wie ein Fragezeichen.
»Aber«, sagte er müde. »Gotland?«
»Ja, ja – dazu komme ich gleich. Das alles war natürlich ein Riesenskandal – vergiss nicht, es war kurz nach 1910. Die Erzgräfin Wilhelmina von Hallwyl verstieß ihre Tochter und nahm den Enkel, Rolf de Maré, zu sich. Ellen und Johnny waren noch immer wahnsinnig verliebt und bauten sich ihr Traumhaus – Muramaris auf Gotland. 1915 war es bezugsfertig, und Ellen ließ für ihren Sohn ein kleines Sommerhaus errichten, das noch heute steht und ›Rolf de Marés Haus‹ genannt wird. Ellen war Künstlerin und Bildhauerin und arbeitete in Muramaris. Die meisten Skulpturen im Park stammen von ihr. Johnny Roosval brachte es dann auch zu etwas und wurde Schwedens erster Professor der Kunstgeschichte. Damit machte er den Schritt in die feinen Salons, und rat mal, was dann passierte? Die beleidigte Leberwurst Gräfin von Hallwyl nahm Ellen in Gnaden wieder auf, und sie durfte ihren Sohn wiedersehen. Also verbrachte Rolf de Maré viele Sommer in Muramaris, und rat mal, wen er oft mitbrachte? Nils Dardel, der sogar den Park von Muramaris angelegt hat, du weißt doch, dass es dort einen großartigen, opulenten Garten gibt. Und der ist wunderschön gelegen, ganz dicht am Meer. Ist das nicht eine romantische Geschichte?«
Zufrieden ließ sie sich im Sessel zurücksinken und trank endlich einen Schluck von dem inzwischen kalt gewordenen Kaffee.
»Das war wirklich eine heiße Geschichte«, sagte Knutas, dankbar, weil sie endlich zu Ende war. »Das ist also die Verbindung zwischen Nils von Dardel und Muramaris – aber was zum Teufel hat das mit Egon Wallin zu tun?«
»Ach, es war einfach so toll, über ihn zu lesen, Dardel, meine ich. Er war so ein spannender Mensch, eine so komplexe Figur«, sagte Karin verträumt.
Knutas hatte dagegen für diesen Morgen die Nase voll von Nils Dardel, er leerte seine Kaffeetasse und erhob sich.
»Gute Arbeit, Karin. Aber jetzt ist Zeit für die Besprechung. Und danach werde ich nach Muramaris fahren.«
Er wagte nicht, Karin gegenüber zuzugeben, dass er noch niemals dort gewesen war, obwohl er auf dem Weg zu seinem Sommerhaus schon tausendmal am Hinweisschild vorbeigefahren war.
Als Hugo Malmberg die Morgenzeitung von der Fußmatte aufheben wollte, entdeckte er einen Zettel, der halbwegs unter das teure eichene Schuhregal von Norrgavel gerutscht war. Der Zettel war rot und deutlich zu sehen. Vielleicht war es nur eine ungewöhnliche Werbeidee, aber ihn überkam doch ein schleichendes Unbehagen, als er ihn hochhob. Ein einziges Wort stand dort zu lesen: »Bald.« Er ging zurück in seine Wohnung und setzte sich in die Küche. Die Hunde drückten sich an seine Füße, auch sie schienen zu spüren, dass diese geheimnisvolle Mitteilung eine Drohung barg.
Er zog automatisch den Gürtel seines Morgenrocks fester und las das Wort ein weiteres Mal. Es war mit schwarzem Filzstift in kühn geschwungenen Buchstaben gemalt – es war die Art Schrift, in der man die Einladung zu einem munteren Fest schreiben könnte. »Bald.« Was um alles in der Welt sollte das bedeuten? Bei dem bloßen Gedanken brach ihm schon der kalte Schweiß aus. Es war der klare Beweis dafür, dass er wirklich verfolgt wurde, dass das alles keine Einbildung gewesen war.
Seit er Freitagnacht auf der Västerbro diesem Mann begegnet war, hatte er das Gefühl, dass ihm jemand folgte. Zwischendurch hatte er sich schon gefragt, ob er nicht langsam den Verstand verlor.
Jetzt kannte er keine Zweifel mehr. Irgendwer hatte es auf ihn abgesehen. Plötzlich fühlte er sich unsicher in seiner eigenen Wohnung und schaute sich nervös
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